Die Geschichte von Jan (7)

Alexa war am nächsten Morgen deutlich eher wach als Jan. Kurioserweise lässt es sich damit erklären, dass Jan am Vortag nicht so fertig war wie sie. Jan schlief zwar bis zur Mittagszeit seinen Schlaf der Gerechten, allerdings hatte er damit auch erst begonnen, als Alexas Füße gelegentlich schon wieder unwillkürlich zuckten, wenn Geräusche von der Straße in das Zimmer fluteten.

Angefüllt von Tatendrang riss sie bereits kurz nach Sonnenaufgang die Fenster der Küche und ihres Zimmers auf, machte sich einen Tee zum Frühstück und saß mit ihrem Laptop am Küchentisch, um sich die neuesten Nachrichten reinzuziehen und all das, was das Netz sonst noch so hergab. Die kühle Luft und der warme Tee als Kontrast dazu ließ sie erstaunlicherweise fast mehr aufblühen als die vergangenen Urlaubstage, in denen sie das selbe deutlich extremer jeden Morgen hatte.

Sie packte ihre Dreckwäsche in die Waschmaschine, putzte in der Küche die paar Ecken, die Jan vergessen hatte und blühte Minute um Minute mehr auf. Sie traute nicht, sich einzugestehen, dass sie eigentlich ein sehr häuslicher Typ war und es genoß, in ihren eigenen vier Wänden zu sein. Über ihren bevorstehenden Einkauf mit Jan sinnierend, beschloss sie, gleich zur Sparkasse zu gehen und etwas Geld abzuheben. Ihre EC-Karte machte hin und wieder beim Bezahlen Probleme, sie war schon reichlich abgenutzt, das wollte sie heute nicht unbedingt im Plus erleben. Sie freute sich ohnehin auf einen Spaziergang und wusste genauso, dass Jan – der alte Stubenhocker – hoch erfreut wäre, wenn sie nicht erst zum Schlesi laufen müssten, um Geld abzuheben. Erneut kostete sie von der kalten Morgenluft, die leicht abgasgetränkt zum Fenster hereinwehte.

Die Geräusche in Jans Zimmer nicht vernehmend, begab sie sich in den Flur, um sich straßentauglich anzukleiden. Ihre Jacke unter den Arm geklemmt, kniete sie sich nieder, um sich die Schuhe anzuziehen.

Bereits 5 Minuten zuvor war Jan erwacht und hatte sich aus dem Bett geschwungen. Die erste Zeit des Tages verbrachte er gerne alleine, obwohl er – wie ihm vielfach attestiert wurde – im Gegensatz zu anderen Menschen morgens eine geradezu hervorragende Laune zu entwickeln in der Lage war.  Der erste Gang führte ihn wie immer zum PC. Die am Bettrand befindliche abgestandene Cola nuckelnd vertrieb er auf dem Weg dorthin den Geschmack gebratener Katze aus seinem Mund. Bevor er kurz nachsah, ob er wichtige eMails bekommen hatte, streckte er sich ausgiebig, kratzte sich ohne es wirklich zu bemerken dort, wo Frauen sich nicht kratzen können und versuchte, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Durch seine Dusche am Vortag roch es wenigstens nicht komisch, obwohl er sich gerade an seinen Weichteilen gekratzt hatte. Was für ein herrlicher Morgen!

Sein PC verriet ihm nichts neues, so sehr er auch suchte. Sein spärlich bestückter Blog lockte nur all Schaltjahr Kommentatoren an, seine Facebook-Freunde waren langweiliger als er (außer denen, deren Abonnements er gekündigt hatte, weil sie so geschwätzig waren) und so früh am Morgen, also Mittag, war auch noch nichts weltbewegendes passiert.

Er hörte ein leises Rascheln von Klamotten vor seinem Zimmer und vermutete, dass Alexa wohl schon wach sei. Den Einkauf wollte Jan zwar gerne noch hinauszögern, aber er freute sich auf seine Mitbewohnerin, in den letzten Tagen hatte sie ihm doch irgendwie gefehlt. Er sprintete zur Tür seines Zimmers, riss sie auf und setzte damit eine Kette verhängnisvoller Ereignisse in Gang.

Alexa erschrak fürchterlich, als nur 5 Zentimeter von ihrem Kopf entfernt die Türe aus dem Rahmen sprang und taumelte im Schreck – noch in instabiler Körperlage wegen der Unzugänglichkeit ihrer Sneaker – rückwärts gegen das Regal.

Das Regal – eine Eigenanfertigung von Jan in den Gründungswochen der WG – ragte bedrohliche 2,50 Meter in die schier unendliche Höhe des Kreuzberger Altbaus und enthielt so ungefähr alles, was man sich in einer WG einmal anschafft, um es nach dem ersten Gebrauch wieder zu vergessen. Blumentöpfe, Werkzeuge, Bastelmaterialien und Pfandflaschen. Beispielsweise. Also nicht beispielsweise, das ist so gewesen.

So. Und all der Plunder regnete nun auf Alexa herab, als sie nach ihrem Aufprall auf dem untersten Brett ebenso zurückfiel wie das Regal nun selbst. Mehr oder minder hilflos auf dem Rücken liegend traf sie zunächst aus dem niederen Bereich des Sammelsuriums eine verschlossene Plastikbox, die ungefähr so viele verschiedene Schrauben und Winkel enthielt, wie nötig gewesen wären, um die Hochbahn an der Skalitzer Straße notdürftig in Betrieb zu halten, sollte ein Erdbeben der Stärke 6 mal an ihrem Fundament zerren. Mehr noch hätten die Schrauben freilich ausgereicht, um das Regal fachgerecht an der Wand zu befestigen, aber dieser Gedanke war sowohl Alexa – jetzt mit blauem Auge – und Jan – jetzt vor Panik kreischend – erkennbar fremd.

Es war nicht die an sich harmlose Verletzung im Gesicht, die Alexa später dazu bewog, Jan zu sagen, dass sie so selbstverständlich nicht auf die Straße gehen könne. Unabhängig vom kleinen Restfunken Eitelkeit in ihr sah sie tatsächlich reichlich zombiehaft aus, was nicht zuletzt von der Dose weißen Lacks herrührte, die sich aus den oberen Etagen des Regals herabstürzend über sie und so ziemlich den kompletten Rest des Flurs ergossen hatte.

Hätte man Jan gefragt, hätte er gesagt, sie sähe aus wie ein ziemlich unheimliches Gespenst. Alexa hingegen fühlte sich wie eines, hatte aber keinerlei Bedürfnis, derartige Vergleiche zu hören. Schuldbewusst und vom epischen Ausmaß der Sauerei verschüchtert, traute Jan sich ohnehin nicht viel zu sagen. Dass Alexa ihn verantwortlich machte, war in ihren Augen zu lesen.

Höchste Zeit für ein Friedensangebot!

Wie soll Jan auf die Situation reagieren?

  • Er geht alleine einkaufen. (32%, 31 Votes)
  • Er schmollt, weil er nunmal nicht schuld ist. (27%, 26 Votes)
  • Er bestätigt Alexa, dass es gar nicht so schlimm aussähe. (22%, 22 Votes)
  • Er verspricht, alleine die Wohnung zu säubern (19%, 19 Votes)

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10 Comments

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10 Responses to Die Geschichte von Jan (7)

  1. Oni

    Oh wie spannend… Wie Alexa wohl den Lack wieder abkriegen will? Gibt es da eine zweite Duschszene? 😉

  2. Ich glaube, wenn man die Haut mit Öl einreibt, geht das ab. Und da der Lack natürlich nicht nur im Gesicht mit Haut in Berührung gekommen ist, …

    Ich bin gespannt. Also Leute, die Duschszene verbirgt sich hinter der Option „…, dass es gar nicht so schlimm aussähe.“!

  3. @Oni:
    Denke nicht. Die erste wollte ja auch kaum einer 😉

    @ednong:
    Ich hab ehrlich gesagt auch noch keine Ahnung 😀

  4. Ein Plus-Supermarkt? Gibt’s die noch, oder in welcher Zeit spielt die Geschichte? 😉

  5. Andreas O.

    Wäre natürlich ziemlich doof, wenn Alexa bald einen wichtigen Termin hätte………

  6. @Will Sagen:
    Damn! Stimmt! Wahrscheinlich ist das inzwischen auch ein Netto 🙁

    @Andreas O.:
    Auch keine schlechte Idee 😀

  7. Damit wird Alexa vermutlich der erste dokumentierte Fall der Menschheitsgeschichte, in dem sich eine Frau ehrlich freuen wird, wenn man ihr später sagen kann, bei ihr sei der Lack ab 😀

  8. @Sash, damit hast du alle Möglichkeiten für einen coolen Zeitsprung. 😉

  9. Marco

    Und die größte Blüte ist bisher untergegangen:

    „Beispielsweise. Also nicht beispielsweise, das ist so gewesen.“

    Ganz großes Kino 😀
    (Wenn auch nicht 100% korrekt zitiert; siehe http://www.sashs-blog.de/wordpress/2011/08/09/wohnungsumbau/) 😉

  10. @Daniel:
    Vielleicht! 🙂

    @Will Sagen:
    Hmm, hab aber keine Ahnung, wie ich das mit dem Datum aus der ersten Folge in Einklang bringen soll…

    @Marco:
    Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, dann habe ich nur das s in „Beispielsweise“ eingefügt – um es für Deutsche und Nicht-Olegianer ein bisschen verständlicher zu machen. Und das zweite „das is“ hab ich zusammen mit dem „sondern“ weggelassen, damit es nicht allzu furchtbar klingt. Dafür hab ich das zweite „so“ doch sehr elegant untergebracht, oder? Aber wahre Kenner… was ich eigentlich sagen wollte: Juhu! Es hat jemand gemerkt! 😀

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