27. Januar 2015 · 12:12
Gerade jetzt wieder – wo auch Pegida und co. grüßen lassen – ist es ein Thema: 70 Jahre Befreiung von Auschwitz! KZ’s, Nazis, deutsche Schuld, etc. pp. Angeblich voll schlimm. Was man da alles lesen muss …
Wir als Nachgeborene haben keine Schuld, man muss die Vergangenheit auch mal hinter sich lassen, etc. pp.
Ja, natürlich!
Als 1981 geborener Deutscher kann ich derartigen Verallgemeinerungen nicht einmal widersprechen. Natürlich habe ich keine Schuld an Auschwitz und natürlich liegt auch mein Fokus auf der Zukunft und nicht der Vergangenheit. So weichgespült könnte ich sogar diese Naziparolen gutheißen.
Aber wie so oft liegt das Problem nicht in irgendwelchen Worten. „Ich bin nicht schuld!“ kann ich natürlich voller Überzeugung blöken, es ändert aber nunmal nichts daran, dass ich gerade weil ich Deutscher bin, schon aus der Geschichte meiner Großeltern lernen kann. Neonazis und andere Rechte fühlen sich immer gleich angegriffen, wenn man sie auf die Vergangenheit verweist – was aber eben nur passieren kann, wenn man zwingend der Nation oder der Vergangenheit eine Deutungshoheit über die eigene Befindlichkeit gibt.
Das sehe ich witzigerweise gerade als Linker viel lockerer und positiver. Es war eben hier in Deutschland, wo der Holocaust in Form abscheulicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattgefunden hat. Eine weder vorher noch nachher überholte staatliche, organisierte und erschreckend effiziente Form des Völkermords.
Ich fühle mich dadurch kein Bisschen angegriffen. Mir ist schon bewusst, dass diese Verbrechen auf die Konten meiner Großeltern gehen. Und wiewohl das in einigen Fällen, wo es vielleicht „nette“ Menschen betrifft, verstörend sein mag: Ja, das kann man in meinen Augen abtun unter „andere Menschen haben böse Dinge getan“.
Ich sehe darin, dass ich in Deutschland geboren bin, kein Manko. Im Gegenteil: Ich lebe in einem der reichsten und nebenbei besten Staaten, die es derzeit gibt. Ich bin nicht mit allem zufrieden und würde vieles gerne ändern, aber das wollen wohl viele hier und anderswo.
Was Auschwitz als Vokabel in Form eines Sinnbilds für Menschenverachtung für mich so greifbar macht, ist genau jener geschichtliche Zusammenhang, der von Nazis gerne instrumentalisiert wird: Ja, es waren Deutsche, mitunter Verwandte, die das möglich gemacht haben. Und ja, es ist hier passiert und nicht irgendwo weit weg, wo man das ignorieren könnte!
Natürlich: Wenn man nichts weiter hat als die Nation, mit der man sich identifizieren kann, dann tut das weh. Dafür bemitleide ich Nazis auch ganz dolle, aber ich sehe es nicht ein, aus ihrer krankhaft beschränkten Weltsicht eine Politik ableiten zu müssen.
Auschwitz, der Holocaust, der Massenmord – natürlich kann ich nichts dafür! Und ja, selbst Neonazis nicht. Aber auch wenn wir unseren Blick (sinnvollerweise!) in die Zukunft richten, so haben eben gerade wir Deutschen aufgrund der Geschehnisse in der Vergangenheit einen Vorteil. Ja, einen Vorteil!
„Wir“ Deutschen wissen, wie unglaublich schief eine krude Mischung aus Nationalismus und Faschismus laufen kann. „Wir“ Deutschen sind die einzigen, in deren Geschichte verankert ist, wie schlimm sich schon „harmloser Antisemitismus“ auswirken kann. Und vielleicht leben wir dadurch im einzigen Land, das deswegen in der Lage ist, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen.
Für Menschen, die sich nicht dieselbe Fremdenfeindlichkeit wie Nazis auf die Fahnen geschrieben haben, ist Auschwitz eben keine „Keule“, kein Eingriff in ihr Leben – sondern irrwitzigerweise ein Baustein, der dafür sorgt, dass Deutschland anderen Ländern einen Schritt voraus ist.
Und deswegen ist es richtig, dass in der Schule das „3. Reich“ thematisiert wird, dass es Gedenkveranstaltungen gibt und an vielen Stellen immer wieder auf die „Schuld“ verwiesen wird, die nur denen ein Dorn im Auge sein kann, deren Diskussionsteilnahmemöglichkeit ohnehin ein schwerer Fehler war.
Obwohl völlig schuldfrei, spreche auch ich mich hiermit gegen jedes Vergessen und gegen jede Form (neu)rechten Gedankengutes aus!