Hallo Herr Schäuble!
Sorry, der Gag ist inzwischen zwar fast verboten alt, aber ich konnte ihn irgendwie nicht links liegen lassen. Am 11. Oktober findet in Berlin einmal mehr eine Demo gegen den Überwachungswahn statt. Ich habe vor, hinzugehen, und dementsprechend kann ich das ja auch kund tun – schließlich halte ich es für eine gute Sache.
Nun habe ich hier im Gegensatz zu alten Blogs von mir ein Problem: Ich habe inzwischen einen ganzen Haufen Leser, der nicht – wie ein guter Teil meines Freundeskreises – aus der linken Szene kommt. Allzu viele Konservative oder gar Rechte werden sich zwar sicher nicht finden, aber irgendwie habe ich den – vielleicht und hoffentlich unbegründeten – Verdacht, dass der ein oder die andere sich wundert, weswegen ich bisweilen mit radikal linker Propaganda auffalle. Nun, ich interessiere mich nun einmal für Politik, für Wirtschaft, für Medien und die Gesellschaft. Ich habe mir meine Meinung gebildet, und ich bin im Nachhinein froh, dass dies abseits von CSU-Parteitagen oder gar den Bierzelten der freien Kameradschaften war.
Ich bezeichne mich selbst als radikalen Linken, wenngleich ich noch nie einen Polizisten geschlagen habe, alle kommunistischen und sozialistischen Systeme für menschenfeindlich und Oskar Lafontaine für ein Arschloch halte. Ich glaube nicht einmal daran, dass alle Politiker Deppen sind, die viel zu viel Geld fürs Nichtstun kriegen, und ich bin mir sicher, dass wir nicht gezielt von irgendeiner dubiosen Organisation oder Wirtschaftsverschwörung verarscht werden.
Ich glaube eigentlich nur, dass Menschen meistens egoistisch sind.
Das alleine reicht meiner Meinung nach mit ein bisschen evolutionärem Wachstum aus, um die offensichtlich unbefriedigende Gegenwart zu erschaffen.
Und eigentlich will ich nur, dass es irgendwann wenigstens für die paar armen Idealisten, die sich nicht deswegen präventiv einsperren lassen wollen, einen wirklichen Raum gibt. Ich hab die Welt nicht erfunden, und ich hab nicht alles von ihr gesehen. Vielleicht bin ich ja der Irre, weil ich es mir vorstellen kann, mit anderen friedlich zusammenzuleben, aber irgendwie liegt es wohl tief im menschlichen Innern, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Genau deswegen will ich auch nicht widerstandslos hinnehmen, dass mich ein frustrierter Rollstuhlfahrer* auf Schritt und Tritt überwacht. Ich gebe im Internet eine ganze Menge preis von mir. Ich bin zweifelsohne ein offener, kommunikativer Mensch. Irgendwo habe ich allerdings auch Grenzen, und ich sehe einfach nicht ein, diese niedrige Hürde jetzt zu Boden zu schmeißen, damit irgendein Dr. S. darüber hinweg rollen kann.
Ich bin ein mäßig begabter Arbeitsloser mit Abitur, und ich bin mir sicher, dass ich es auch nach Einführung der Online-Durchsuchung schaffen würde, eine Bombe zu bauen und einzusetzen, wenn ich mich denn trauen würde es vorhätte.
Aber interessiert das gerade noch? Geht es wirklich darum bei all den Vorhaben? All das, was gerade in Planung ist oder in den letzten Jahren an Möglichkeiten zur Überwachung geschaffen wurde, wurde doch nur durchgesetzt, um den aufgeschreckten Menschen zu suggerieren, dass mit dem nächsten Schritt garantiert endlich alles sicher sei. Warum denkt denn da niemand drüber nach? Selbst das Leben in einer hermetisch abgeriegelten Gummizelle kann noch ein vorschnelles Ende nehmen – wenn zum Beispiel die Belüftung versagt.
Absolute Sicherheit ist eine Utopie. Man kann sich ihr vielleicht asymptotisch annähern, aber das war es dann auch schon wieder. Doch je näher wir uns dieser tollen Sicherheit nähern, desto lebensunwerter wird die Welt, weil sämtliche Freiheiten auf dem Weg verloren gehen.
Mal ein seltenes Beispiel zum Thema Sicherheit und Lebensqualität: Ich und mein Bruder sind schon seit inzwischen weit über 10 Jahren leidenschaftliche Gelegenheits-Dartspieler. Wir haben uns aber damals alleine keine Darts kaufen dürfen – die gab es nämlich nur im Waffengeschäft.
Der ein oder andere mag das für unsinnig übertrieben halten, denn wer beschwert sich denn bei den aktuellen Debatten? Vermummte Demonstranten! Da haben wir’s doch!
Nun muss ich gestehen: Ich war auch schon vermummt auf Demonstrationen. Und ich wäre es heute noch – aber leider lassen sich 2,03 m nicht mehr so locker mit einer Vermummung verstecken. Falls es irgendeinen interessiert: Ich war nie vermummt, um unerkannt Steine zu werfen oder Polizisten zu schlagen. Ich habe mich über dieses Verbot, bei öffentlichen Veranstaltungen das Gesicht zu verdecken, hinweggesetzt, weil die Polizei sich ihrerseits über das Verbot hinwegsetzt, Demonstrationen präventiv zu filmen. Und: Wenn sie sich über dieses Verbot ständig hinwegsetzen, wer garantiert mir dann bitte noch die Löschung, die nicht erfolgende Auswertung? Ganz abgesehen davon, dass ich nie vorhatte, in einer Liste der Anti-Antifa mit einem Portraitfoto aufzutauchen.
Und dieses „Wer nichts getan hat, der hat auch nichts zu befürchten“ kann ich nicht mehr hören. Ich möchte auch mit einer zerissenen Hose nicht gefilzt werden. Genau wie jeder Anzugträger auch. Ich will nicht, weil ich auf einer linken Demo Fotos mache, dass die Cops meine Unterwäsche in meiner Wohnung durchwühlen. Genau wie jeder CDU-Wähler auch.
Nachdem ich – noch mit langen Haaren – binnen „kürzester Zeit“ die fünfte Drogenkontrolle bei der Arbeit (als Fahrer) hatte, habe ich den Beamten mal gefragt, ob sie eigentlich extra Langhaarige anhalten. „Wir haben da unsere Kriterien“, hat er immerhin zugegeben. Respekt! Die einzige Droge, die ich regelmäßig konsumiere, ist Alkohol – und ich hab nicht ein einziges Mal blasen müssen. Stattdessen in Hinterhöfen unter Aufsicht in ein Becherchen pinkeln. Oder Verrenkungen machen, die ich auf einer Party spaßeshalber nach 9 Bier noch hingekriegt habe. Das hat der Sicherheit enorm geholfen, denn sie hatten ja ihre Kriterien. Und die waren ähnlich sinnig, wie all die, die jetzt eingeführt werden.
Was würde ich wohl an Privatsphäre einbüßen, wenn ich Achmed heißen würde, und mir mein reicher iranischer Onkel jedes Jahr 15.000 € schicken würde, damit ich im schönen Deutschland ungestört und ohne BaFög studieren könnte?
Ich will es mir nicht einmal ausmalen!
Und glaubt mir: Wenngleich ich hier offen über meine finanziellen Verhältnisse und meine WG schreibe, wenngleich ich meine Meinung zu gesellschaftlichen Themen kundtue und vielleicht sogar das ein oder andere Mal ein paar Worte über meine Freundin verliere… dann heisst das noch lange nicht, dass es tolerabel wäre, ein paar Beamte in Pullach oder eben hier in Berlin zu wissen, die sich darüber unterhalten, ob das mit meiner Freundin denn ernst wäre, weil in den letzten drei von mir heruntergeladenen Pornos nur blonde Frauen vorkamen. Wenngleich dieses Beispiel fiktiv war, so macht es doch hoffentlich klar, was ich meine.
Meine Finanzen beispielsweise sind zwar mager, aber noch letztes Jahr habe ich trotz einem monatlichen Einkommen von unter 1000 € ein Geflecht von 8 Konten. Das war Verplantheit kombiniert mit einem sehr gut organisierten Leben (Sparkonten, geschäftliche Konten, Gehaltskonto, Privatkonto, WG-Konten etc…)
Was glaubt ihr, was ich froh bin, dass ich deswegen bei der Agentur für Arbeit keinenTermin hatte. Das hätte ich doch jemandem mit anderem Lebensstil kaum begreiflich machen können, ohne dass der vermutet, ich will irgendwas verschleiern.
Und jeder von uns hat so seine Macken, die einem vielleicht bei falscher Betrachtungsweise falsch ausgelegt werden könnten.
Sollte es irgendwann einmal hier in der Gegend einen Massengentest geben, dann könnt ihr sicher sein, ich gehe nicht hin. Ich verbürge mich meinetwegen, auffindbar zu bleiben, bis sie den Kinderschänder oder whatever gefasst haben – aber ich werde nicht so blöd sein, mich in eine Datenbank eintragen zu lassen, bei der ich nicht weiss, ob in zehn Jahren nicht doch meine Krankenkasse Zugriff drauf hat, welche mir dann per Formbrief erklärt, dass ich in drei Jahren wegen der genetischen Veranlagung ein Pflegefall bin und sie mich deshalb ausschließen. (Das war überspitzt, ich geb’s zu!)
Und damit bin ich in meinem Freundeskreis schon heute eine Ausnahme: Die meisten wurden nämlich unter Zwang (ja, ich meine körperliche Gewalt) erfasst, weil sie die Dummheit besaßen, sich irgendwo auf Demos einkesseln und festnehmen zu lassen.
Ist es wirklich so verwerflich, dagegen zu sein? Öffne ich grenzenloser Brutalität und Kriminalität die Türe, nur weil ich der Meinung bin, die Gesetze gehen schon viel zu weit? Ich glaube es nicht, denn wenn Überwachungskameras erfolgreich wären, dann wären doch seit mindestens zehn Jahren wenigstens die Bahnhöfe und Flughäfen völlig entkriminalisiert. Dass dem nicht der Fall ist, verleitet mich zur Annahme, dass es immer wieder Gewalt aus dem Affekt heraus geben wird, gegen die Prävention machtlos ist.
Also lassen sie mir doch bitte meine Freiheiten, Mister Wheelchair!!!
Ich dachte, ein eigener Text ist sicher überzeugender als ein paar oft gehörte Phrasen, deswegen hier noch einmal:
Demo in Berlin
11. Oktober 2008
Treffpunkt: 14.00 Uhr Alexanderplatz
www.freiheitstattangst.de
* Ich habe nicht vor, Herrn Schäuble auf seine Verletzung zu reduzieren und ich habe vier verdammt geile Arbeitsjahre im Behindertenfahrdienst hinter mir und seitdem wirklich die Vorurteile gegen Behinderte besiegt. Anspielungen lediglich auf die geistigen Schwachstellen – um die es natürlich geht – wären schlicht und ergreifend zu uneindeutig, um viele leicht verständliche Synonyme für diesen Menschen zu finden, deswegen habe ich so oft auf seinen Rollstuhl angespielt.