Unglaublich, welchen Furor die Petition und der Blogeintrag von „Mama arbeitet“ alias Christine Finke gerade auslösen. Sie fordert als Mutter die Abschaffung der Bundesjugendspiele, weil sie unnötig demütigend und pädagogisch überholt seien. Neben viel Unterstützung bekommt Finke auch eine Menge Anfeindungen zu hören. Das ist erst einmal nicht so schlimm, schließlich kann man bei jedem Thema unterschiedlicher Meinung sein. Auf der anderen Seite sieht man dann doch recht deutlich, wie unterschiedlich die Argumente verteilt sind. Finke gegenüber werden viele pauschale Vorwürfe gemacht und nicht zuletzt wird sie auch persönlich angegriffen – während sie einfach nur die Negativaspekte der Bundesjugendspiele aufzählt und sie dadurch in Frage stellt. Und das ist doch erst einmal für sich ein wertvoller Diskussionsbeitrag.
Außerdem sehe ich sie durchaus im Recht. Es geht ihr ja auch ganz ausdrücklich nicht darum, dass Kinder keinen Sport machen sollen oder nicht auch mal verlieren lernen sollten. Und niemand hat gesagt, dass man Matheklausuren dann auch abschaffen sollte, weil Kinder dabei unterschiedlich abschneiden. Ebenso sind sportliche Wettkämpfe was tolles, um sich auszuprobieren, seine Fähigkeiten zu testen, etc. pp. Kann man alles machen, will niemand verbieten, ganz egal, was einem die eigenen Beißreflexe da einreden wollen.
Ich weiß recht wenig über die Bundesjugendspiele heute und meine Schulzeit liegt nun ja auch schon ein Weilchen zurück. Bei uns jedenfalls war es ungefähr so unsinnig wie möglich: Man musste in drei Disziplinen antreten: Rennen, Springen, Werfen. Fertig. Das wurde davor nicht gesondert trainiert, mit etwas Glück haben die Lehrer irgendwann in den letzten Wochen davor wirklich mal einen Tipp gegeben, wie man beim Weitsprung besser wird. Aber von der Sache her war das Glückspiel und Verlassen auf die körperliche Kondition. Ich hab während der ganzen Schulzeit z.B. nie die Chance bekommen, herauszufinden, wie viel Anlauf ich beim Weitsprung nehmen sollte. Da war ja eine Linie …
Nun ist es so: Mit schlechten Noten kenne ich mich aus. Hatte ich in allen Fächern schon. Ich hab jahrelange Erfahrung als Klassenschlechtester in Mathe und war zeitweilig sogar mit einem Lehrer gesegnet, der das gerne mal zynisch kommentiert hat. Aber die Bundesjugendspiele sind ein Spezialfall gewesen. Denn zum einen konnte ich mir selbst bei einer Matheklausur immer noch die Hoffnung machen, irgendwie auf die Lösung zu kommen. Und wenn nicht: Während des größten Stresses, der Klausur selbst, merkte das keiner.
Beim 100-Meter-Lauf hat jeder gesehen, wie langsam ich war. Nicht mal nur meine Klasse, auch der Deutschlehrer am Maßband beim Weitsprung, die Kumpels aus der Parallelklasse und nicht zuletzt die Süße aus der Elften, in die ich heimlich verknallt war. Zudem wusste ich das vorher. Ich musste extra zu einem Sportplatz am anderen Ende der Stadt fahren, obwohl mir vorher klar war, dass es nix bringt. Beim Laufen und Springen würde ich letzter bis vorletzter werden, und durch etwas mehr Kraft beim Werfen werde ich am Ende noch zwei andere hinter mir lassen. Das war in der vierten Klasse so und hat sich bis zur elften nicht geändert.
Das Ganze hat mir nix gebracht, wirklich. Obwohl ich bei aller Unsportlichkeit den Sportunterricht im Wesentlichen gemocht habe. Ich mochte Leichtathletik und Geräteturnen nicht, ok. Aber ich war ein guter Gewinner oder Verlierer bei Teamsportarten. Wo war da das pompöse Gedöns mit Unterschrift vom Bundespräsidenten? Und das Pendant dazu ist nicht eine Matheklausur, nein, wirklich nicht! Das Pendant ist ein Kurzgeschichten-Wettbewerb, verpflichtend für alle – inklusive Vorlesen der Geschichten in der Schulaula oder vielleicht auf dem Hof, eventuell sogar mit der Nachbarschule zusammen. Das dürfen sich die, die sich jetzt aufregen, weil sie Urkunden bei den Bundesjugendspielen gekriegt haben, mal überlegen.
Ich will ehrlich sein: Mich hat das nicht umgebracht. Ich hatte sogar vergleichsweise wenig Angst vor dem Event, weil ich wirklich sehr nette Klassenkameraden hatte und teilweise selbst unter den richtig guten Sportlern Unterstützung fand. Ein guter Freund, 4 Klassen schneller als ich, ist sogar mal freiwillig mir mir mitgelaufen, um mich zu motivieren und anzuspornen.
Trotzdem war das rückblickend einfach nur dumm und unsinnig demütigend.
Und etlichen ist es noch schlimmer ergangen. Siehe Christine Finke, der damals sogar unsinnigerweise vermittelt wurde, sie sei unsportlich.
Vielleicht hätte ich ja auch mehr Sport gemacht ohne solche Erfahrungen. Ich will das nicht behaupten, aber die Theorie drängt sich irgendwie auf.
Ebenso drängt sich abschließend die Frage auf: Sind die Positiverfahrungen der sportlicheren Kinder ebenso umfangreich, so bestimmend für ihre Schulzeit, so erinnerungswürdig? Ich habe meine Zweifel.
Dementsprechend hab ich die Petition einfach mal mitgezeichnet. Muss natürlich nicht jeder so halten wie ich – aber persönliche Anfeindungen der Petitionserstellerin sind ungeachtet dessen einfach mal nur völlig daneben!
Been there, done that. Meine Erfahrungen mit den BJS sind ganz ähnlich wie Deine.
Schöner Text. Viele Grüße!
Christine
Ging mir ähnlich, habe es nie so ernst genommen, da Sport eh eines meiner schwächsten Fächer war und ich Leichtathletik gehasst habe. Hat mich nicht traumatisiert, war ein Tag ohne unterricht. Ich habe eh nie eine Urkunde bekommen habe. Wäre ich zwei Monate jünger, hätte ich mich vielleicht angestrengt, da wäre nämlich eine Urkunde in Reichweite gewesen, zumindest ab und an. Aber so, wozu anstrengen.
@Sash: Guter Text, den ich fast so unterschreiben würde – als derjenige, der sich mit dir immer um den letzten / vorletzten Platz duelliert hat 🙂
Also die Bundesjugendspiele gehören in der Form weg – bzw. die Teilnahme daran sollte freiwillig sein. Auch den Schulsport in der Form wie er praktiziert wird würde ich abschaffen – mir hat dort jedenfalls niemand in den vielen Jahren Spaß daran vermittelt.
Würde aber den Sport an sich schon stärker in der Schule einbinden – allerdings ohne Benotung, und mehr mit dem Hintergrund den Schülern den Spaß daran näher zu bringen.
Den viele Jahre nachdem ich die Schule verlassen habe, habe ich gemerkt dass man tatsächlich Spaß daran haben kann, und für die Gesundheit ist es ja auch nicht das schlechteste… wenn die Schule da bessere Arbeit geleistet hat wäre ich evtl. auch früher drauf gekommen.
Bei mir hatte nur meine Grundschule an den Bundesjugendspielen teil genommen. Das Gymnasium nachher nicht mehr.
Aber ich hatte auch eher den Eindruck dass es nicht wirklich drauf an kommt wie gut das Kind ist.
In einem Jahr war ich relativ schlecht. Bis zum nächsten Jahr aber recht schnell gewachsen und zack durfte ich auf die nächste Ebene der Bundesjugendspiele. Trainiert? mich wirklich verbessert? Fehlanzeige. Ich hatte halt in dem Jahr einfach einen körperlichen Vorteil gegenüber meinen Klassenkameraden.
Ich sehe auch keinen Sinn dadrin Sport auf Leistung zu machen. Wer das will kann das sehr gerne in einem Verein machen, so ist es nicht. Aber im Rahmen des Schulsports und Sport, um fit zu sein, ist es eher schädlich, Wie viele Leistungssportler haben kaputte Gelenke usw. Und es nimmt einen wirklich den Spaß beim Sport. Nach der Schule hat es auch bei mir gedauert bis ich jetzt so langsam wieder Spaß dran gefunden habe für mich meine paar Bahnen beim Schwimmen total unprofessionell mit Brustschwimmen hin zu planschen. ^^
Moin Sash,
mir ging es ähnlich, wie dir mit diesem Wettkampf.
Dennoch halte ich die Idee für gut.
Was die Umsetzung angeht, hängt es eben, wie so vieles, dann doch sehr am einzelnen Lehrer.
Ich finde auch, dass man die Institution beibehalten sollte. Auch, damit Kinder lernen mit sportlichem Erfolg/Misserfolg umzugehen.
Gehört halt zum Leben.
Klar, ist das nicht die einzige Gelegenheit dafür, aber eben eine.
Inzwischen bin ich sportlich aktiv, aber nicht in diesen Disziplinen. Schulsport war für mich eher eine sinnlose Angelegenheit.
Und auch jetzt schaffe ich es in Wettkämpfen öfter nicht, wirklich gut abzuschneiden. Aber ich bin mir meiner Stärken und Schwächen bewusst.
Das war schon zu Schulzeiten so. Auch im Sport.
Entsprechend konnte ich das einsortieren.
Was persönliche Anfeindungen angeht, bin ich deiner Meinung, das hat in einer Diskussion nichts verloren. Egal, welcher Meinung man selbst und der Andere ist.
Hallo Sash,
bei mir war es genau das Gegenteil. Habe meistens eine Ehrenurkunde, und gelegentlich auch nur eine Siegerurkunde, geholt. Bin auch regelmäßig bei Sportwettkämpfen für meine Schule angetreten. Und dennoch habe ich seit der Schulzeit überhaupt keinen Sport mehr gemacht. Ich war übrigens immer nur auf kurze Distanzen superschnell, beim Langlauf haben mich die Ersten nach einem Viertel der Strecke bereits überholt.
Aber auch meine Erinnerungen an die Bundesjugendspiele in den 1970er sind ganz andere. Es war keinesfalls so, dass alle auf der Tribüne saßen und jedem einzelnen zugeschaut haben. Vielmehr war es so, dass alle Disziplinen zeitgleich liefen und deshalb alle irgendwo unten rumgewuselt haben und nur, wenn überhaupt, die eigene Clique zugeschaut hat. Also ähnlich, als wenn man seine Kurzgeschichte auf dem Schulhof seinen Freunden laut vorliest. Die Bundesjugendspiele haben mir immer soviel Spaß gemacht, dass ich die auf keinen Fall versäumen wollte. In der 10. Klasse war ich nicht einen Tag in der Schule und habe somit in allen Fächern auf meinem Abgangszeugnis eine 6 bekommen. Nur in Sport bekam ich eine 4, weil ich bei den Bundesjugendspielen eine Ehrenurkunde geholt hatte.
Trotz meiner eher positiven Erfahrungen, halte ich die Bundesjugendspiele heute ebenfalls für überflüssig. Diese Erkenntnis vertrete ich jedoch erst seit ich im Februar auf ARD-alpha die sehr empfehlenswerte Reportage „Alphabet“ (http://www.alphabet-derfilm.at) gesehen habe. In dieser ging es um das Schulsystem und wie es unsere angeborene Kreativität systematisch zerstört. Ständige Wettkämpfe bei denen es nur Richtig oder Falsch gibt. Wir werden in der Schule zu Siegern pogrammiert und wer da nicht mithalten kann wird im Leben versagen. Es zählt nur noch wieviele „richtige“ Antworten man auswendig gelernt hat, und nicht, wie kreativ man eine Aufgabe gelöst hat. Diese aufgezwungenen Konkurrenzkämpfe gehören abgeschafft und es sollte ein Schulsystem geben, bei dem die Begabungen eines Jeden endeckt und entsprechend gefördert werden. Und die Abschaffung oder Freiwilligkeit der Bundesjugendspiele könnte ein erster Schritt auf dem Weg dorthin sein.
Bei mir ist das noch nicht so lange her wie bei dir, dennoch kann Ich mich kaum noch daran erinnern.
Warum man das jetzt abschaffen soll leuchtet mir nicht ein.
Ich meine, wo ist der Unterschied ob man 9, 10, 11 oder 12 Klassen lang im Sportunterricht nicht mit macht oder bei den BJS Letzter wird?
Ich war mein ganzes Schulleben lang ein Sporthasser und Turnbeutelvergesser.
Da hat das schlechte Abschneiden bei den BJS mein Seelenbleben auch nicht über Gebühr negativ beeinflusst.
Wenn Ich sowas lese kann Ich mich immer nur wundern über welchen Kokolores sich die Leute den Kopf zerbrechen.
Gibts nichts wichtigeres?
Grüße aus Dresden
Philipp
@Philipp:
Meine Antwort auf „Gibt es nichts wichtigeres?“ solltest Du als Dauerleser kennen: Selbst unser ganzer Planet ist unwichtig, wenn man das Universum als Maßstab nimmt – aber das heißt nicht, dass sich nicht im Kleinen auch Dinge verbessern ließen, außerdem würde sich sonst niemand mehr mit etwas anderem als Astrophysik beschäftigen.
Und ich würde sagen, dass Du dir die Antwort auch sehr leicht gemacht hast: Du fandest die BJS also nicht toll und findest es trotzdem komisch, sie abzuschaffen? Hä?
Und wo ist da von einem Verbot die Rede? Das Gegenteil ist der Fall: Bisher war es Pflicht! Eine Abschaffung derselben könnte auch alleine in einer Freiwilligkeit des Ganzen bestehen. Was die Sache angeht, habe ich versucht anzudeuten, dass es einen Unterschied macht, ob man innerhalb eines Klassenverbundes oder vor der ganzen Schule zur Schau stellen muss, was man (nicht) kann. Das mag für einzelne mal mehr oder mal weniger schlimm sein – aber die Frage ist doch: Warum muss es überhaupt für jemanden schlimm sein? Nur, weil „wir“ das halt auch gemacht haben? Ist das ein Argument?