19. Februar 2014 · 05:54
… und keiner überträgt in ihm Fernsehen.
Es ist schon eine sonderbare Welt, in der wir leben. Viele werden es vielleicht (wie ich auch) ein bisschen verdrängt haben, aber in der Ukraine tobt ein ernstzunehmender Aufstand, seit gestern ist die Lage dort eskaliert. Die Innenstadt von Kiew ist in Flammenrot getaucht, die Kämpfe zwischen Polizei und Demonstranten kosteten mittlerweile mehrere Leben. Dass uns das nur leidlich interessiert, ist irgendwie ja nachvollziehbar. Schließlich haben wir eigene Probleme und weltweit gibt es so viel Krieg und Ärger, da ist das nur eine Meldung von vielen.
Aber so weit weg ist das nicht. Nicht geografisch, nicht politisch. Kiew liegt näher an Berlin als Rom, nur Polen trennt Deutschland von der ehemaligen Sowjetrepublik. Und nicht nur, dass die Ukraine ein Beitrittskandidat für die EU ist – ausgerechnet daran entzündeten sich im November jene Proteste, die nun wohl einen neuen Höhepunkt erreicht haben. Und auch wenn es oberflächlich eindeutig darum geht, einen ungeliebten Präsidenten loszuwerden, ist die politische Lage dort alles andere als überschaubar. Dass an den Protesten neben liberalen Bewegungen auch ultrarechte Nationalisten teilnehmen, ist wohl ein Zeichen dafür, dass das alles nicht mal so eben in einem dreiminütigen Nachrichteneinspieler erklärt werden kann. Und so bleibt vorerst ein etwas verstörender Eindruck von einer Straßenschlacht, bei der Sondereinsatzkommandos mit scharfen Waffen auf die eigene Bevölkerung zielen, Panzer, Barrikaden, und ja: eine Hauptstadt brennen und neben irgendwelchen Nazis ein u.a. in Deutschland zu Ehren gekommener Profi-Boxer zum Widerstand aufruft. Und das alles 1200 km Luftlinie von hier entfernt.
Und im deutschen Fernsehen läuft eine Karnevalssendung.
Ich verstehe, dass eine Prioritätensetzung auch im Journalismus schwierig ist. Aber während gelegentlich Brennpunkte zum Wintereinbruch (Schnee, schon im Dezember!) gesendet werden, ist das gestern ausgeblieben. Um 17 Uhr MEZ wurde die gewaltsame Räumung des Majdan Nesaleschnosti zu 18 Uhr angekündigt, sollten die zigtausend Demonstranten nicht ihre Zelte abreißen und heimgehen. Eine angekündigte Eskalation. Bei Twitter war das nach Minuten Thema, eine Liveberichts-Timeline war schnell zusammengeklickt. Nicht mal an Bildmaterial fehlte es, mehrere Livestreams laufen teils bis jetzt (Ich hab meist den hier laufen, dazu muss man allerdings Youtube ein wenig austricksen).
Als die Räumung etwa 5 Minuten im Gange war, schaltete ich zufällig beim ZDF vorbei, wo das Thema immerhin kurz angerissen wurde. Während auf meinem Computermonitor zu sehen war, wie Barrikaden angezündet wurden, um Räumpanzer zu behindern, schaltete man auf dem Fernseher zu einer Korrespondentin in Moskau (WTF?), die sich in Allgemeinplätzen erging, wie beispielsweise, dass das Ankündigen der Räumung ja durchaus auch eine leere Drohung gewesen sein könnte und man ja nicht wissen könnte, ob da jetzt wirklich was passiert.
Das ist alles noch neu, ich weiß. Ich erinnere mich an eine Situation in der Grundschule – also irgendwann so um 1988 herum – als meine Klassenlehrerin sichtlich beeindruckt berichtete, wie ein Nachrichtensprecher irgendwelche Neuigkeiten vom anderen Ende der Welt berichtet hätte, die gerade mal ein paar Minuten alt sind. Damals ist man mit uns noch ins Kommunikationsmuseum gegangen und hat Rohrpostsysteme und Bildtelefone als Technik der Zukunft gezeigt.
Und nun saß ich gestern da und konnte nicht fassen, dass ich die Nachrichtensprecher anbrüllen wollte, dass sie doch längst räumen.
„Seht Ihr das denn nicht!? Wo seid Ihr, um vielleicht wenigstens die Kampfrede von Klitschko zu übersetzen?“
Ich weiß, es ist eine schwere Zeit für Journalisten. Alles ist hektischer und zudem verlieren sie oft genug sogar die jahrzehnte-, ja jahrhundertelang gewohnte Deutungshoheit über Ereignisse. Ich zolle wirklich jedem Respekt, der sich an dieser schweren Aufgabe versucht und ich verzeihe Fehler dabei großzügig, wenn erkennbar ist, dass sie den Umständen geschuldet sind. Aber dass ich Gebühren zahle, damit über einen eventuell ausbrechenden Bürgerkrieg zur aktuellen Stunde unweit von hier eine einsame Tickermeldung unter einer Tiersendung über Flusspferde eingeblendet wird, während ich im Netz von Freiwilligen unendlich mehr Informationen bekomme, lässt mich an meinem Verstand zweifeln.
PS: Online gab es natürlich irgendwann auch Live-Ticker. Aber dass die Tagesschau, als mutmaßlich führendes Nachrichtenmedium, selbst online nur einen unkommentierten Stream von Reuters einzubinden wusste, hat nun auch nicht viel verbessert.
