„Er hat Jehova gesagt!“

Mich juckt es seit Tagen in den Fingern, etwas über die ganze Mohammed-Film-Karikaturen-Geschichte zu schreiben. Erschreckenderweise ist das schwierig, obwohl ich meine Meinung zum Thema recht knapp umreißen könnte. Filme werden gedreht, Botschaften brennen, Menschen sind beleidigt, Menschen sterben und jetzt verschiebt die Bundesregierung sogar eine Plakatkampagne, um bei der angespannten Lage nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.

Und alle berufen sie sich darauf, dass sie entweder besonders zivilisiert oder aber die Krone der Schöpfung sind. Man kommt eigentlich nicht umhin, der eigenen Spezies einen ironischen Applaus zu spendieren und Zugaben zu verlangen …

Aber problematisch am Schreiben darüber ist viel weniger die Hitzigkeit, mit der die Debatte geführt wird oder gar die Angst, irgendwem auf die Füße zu treten. Es ist eher so, als würde man nachts mit zugebundenen Augen besoffen auf einem Pogostick durchs Minenfeld hüpfen und darauf hoffen, genau dem schmalen Pfad zu folgen, der zur sicheren Passage bereits geräumt wurde: man weiß, dass es schief geht und versucht doch verzweifelt, den richtigen Anfang zu finden.

Dass ich kein Freund von Religionen bin, ist hinlänglich bekannt. Und ihr könnt mir glauben, dass mit jeder Nachricht von religiösem Fanatismus in mir ein bisschen Humanität der Zynik weicht und ich darüber nachzudenken beginne, dass es doch eigentlich für alle Beteiligten ganz nett wäre, wenn die wirklich frommen Schäfchen möglichst schnell zu ihrem vermeintlichen Schöpfer zurückkehren. Aber natürlich ist das polemisch und billig.

Ich bin ein großer Freund der Religionsfreiheit. Zum einen, weil ich nicht an Verbote und ihren Nutzen glaube. Zum anderen, weil jeglicher Glaube an sich natürlich eine im Grunde rein mentale Sache ist und es sich aus wiederum vielerlei Gründen verbietet, Menschen dafür zu verurteilen, wie sie ihre Fantasie verwenden. So gesehen bin ich im Allgemeinen Religionen gegenüber tolerant. Toleranz ist im Übrigen nicht das, was die Leute darunter verstehen, die immerzu sagen „Ich bin da tolerant, aber …“. Toleranz bedeutet, etwas zu dulden und etwas Menschen zugestehen, mit dem man selbst NICHT einverstanden ist.

Toleranz ist wichtig, denn abgesehen von einigen Dingen, die man ohne inneren Widerspruch akzeptieren kann, gibt es immer auch Differenzen, die durch Toleranz beigelegt werden können. Aber sie muss in gewissen Punkten auf Gegenseitigkeit beruhen. Purer Intoleranz tolerant zu begegnen ist zum einen schwierig, zum anderen ein schlicht unfairer Kampf, bei dem man letztlich verliert. Ich kann zwar damit leben, dass Menschen dieser verbohrten Splittergruppierung FDP der Meinung sind, Steuersenkungen seien voll total dufte – brauche aber nicht ernsthaft mit Menschen diskutieren, die sich tatsächlich für besser halten, weil sie deutsch, heterosexuell, Männer oder eben Moslems oder Christen sind.

Und das liegt das Problem. Obwohl die Religion wie jetzt gerade wieder ziemlich weltliche Probleme hervorruft, entzieht sie sich ihrer Kritik schon vom Grundverständnis her, indem sie ins Metaphysische ausweicht und von diesem Standpunkt aus unantastbar bleibt. Als irrationales Überzeugungssystem muss sich die Religion allein aus historischen Gründen nicht an der Realität messen lassen. Während wir Homöopathiespinner als solche benennen können, Holocaustleugner gar bestrafen für ihre nachweislich falschen Behauptungen, bleibt den Religionen stets der Rückzugsraum der Religionsfreiheit – obwohl sie nicht minder unplausiblen Quatsch verbreiten und – im Schlimmsten Falle wie beispielsweise jetzt eben in katastrophal bildungsarmen Gegenden mit den entsprechenden Strukturen – Gewalt schüren. Gegen Andersgläubige, bzw. – und das ist ja das perfide – in ihrem Sinne Ungläubige.

Ausgerechnet die großen monotheistischen Religionen mit ihren Absolutheitsansprüchen und ihren Überzeugungen, dass „die Anderen“ entweder im Diesseits ausgerottet oder aber mit gewissem „Recht“ im Jenseits entsetzlich gequält werden dürfen, genießen vielerorts einen besonderen Schutz von staatlicher und moralischer Seite.

Ich habe nichts gegen imaginäre Freunde. Und wenn jemand lieber zu Gott oder Allah betet, anstatt zu feiern, zu diskutieren, zu lachen, zu arbeiten, zu prokrastinieren, zu leben … ist mir völlig wurscht. Ja, ich verstehe es nicht. Das muss ich zugeben. Aber ich lasse es den Menschen, da bin ich tolerant. Wie eingangs erwähnt.

Wenn aber irgendwer meint, dass sein Zwiegespräch mit Gott es rechtfertigt, im Leben unschuldiger Menschen herumzupfuschen, oder gar es anzugreifen – dann hört auch bei mir die Toleranz auf! Dann muss auch erlaubt sein, euren Gott für blöde und inkompetent, kindisch, albern, bösartig, widerwärtig und/oder schlecht zu halten – und dies zu kommunizieren! Und das ist eben kein spezielles Problem des Islam. Dessen Anhänger treten zweifelsohne gerade radikaler auf als andere Gruppen, letztlich liegt das Potenzial aber in jeder Religion mit Allgemeingültigkeitsanspruch.

Ich finde es somit selbstverständlich furchtbar, was gerade in einigen islamisch geprägten Ländern passiert. Mal abgesehen davon, dass niemand wegen eines Filmes oder einer Karikatur wegen getötet werden sollte – erst recht zutreffend ist das auf Menschen, die nur zufällig das selbe Land vertreten. Diese Grenzziehung ist ja nicht weniger bekloppt. Und das ist auch etwas, das an alle „Patrioten“ und „stolze Deutsche“ mal rausgehen sollte:

Ja, natürlich ist der Islam bekloppt! Ebenso wie die anderen Religionen. Jetzt wird gerade Jagd auf Amerikaner – aber auch auf Deutsche – gemacht – einfach, weil diese Leute (und wer weiß schon, wie die ticken? Am Ende sind es buddhistische grüne Lokalpatrioten) zufällig im selben Land geboren sind, dem selben Kulturkreis angehören oder sonstwie zufällig mit den in den Augen der Fundamentalisten Schuldigen zusammenhängen. Unschuldig, aber dennoch bestraft. DAS ist genau das, was IHR so toll findet! Denkt mal drüber nach!

Ich geh derweil kotzen.

PS: Sehr interessant und von einer anderen Mine aus springend betrachtet es Michael Hohner vom RatioBlog – dem ich übrigens mehr Leser wünschen würde, auch wenn der Autor bezüglich des unterhaltsamen Buches von Richard Feynman anderer Meinung ist … 😉

9 Comments

Filed under Politik, Vermischtes

9 Responses to „Er hat Jehova gesagt!“

  1. G. Leichemeinung

    Stille im Raum. Ich stehe auf und fange langsam an zu applaudieren.Danke, welch großartiger Beitrag. Fast besser als deine Taxigeschichten 😉

  2. Kat

    *wow* Toll geschrieben, bin ganz deiner Meinung, hätte es aber niemals so gut in Worte verpacken können. Danke!

    Viele Grüße, Kat

  3. Opa Hans

    Der entscheidende Unterschied zwischen Christentum und Islam liegt nicht in den Religionen selbst sondern darin begründet, dass das Christentum durch Aufklärung und französische Revolution entschärft und in die Schranken gewiesen wurde.

  4. Christoph

    An für sich kann ich deinem Beitrag zustimmen, aber dieses gege „stolze Deutsche“ bashing am Ende hat meiner Meinung nach hier nichts zu suchen! Wir alle kennen (und schätzen?) doch deine politischen Ansichten und du brauchst sie nicht bei jedem Beitrag mit religiösem oder politischen Hintergrund kund zu tun. Hier ging es doch um religiösen Fanatismus im Allgemeinen und Islamismus im Speziellen.

  5. Michi

    Danke für den Text, Sash. Bei dem, was rund um diesen Film gerade abgeht, kann man sich wirklich nur an den Kopp packen.

    Dass man die Plakataktion verschiebt, find ich übrigens gar nicht so schlimm. Im Gegenteil, die gehört ganz abgeblasen. Die Plakate entstammen offensichtlich einem stark an Klischees erkrankten Gehirn…

    Aber sonst? Da veröffentlicht eine französische Satirezeitschrift Karikaturen von Mohammed und die Regierung schließt vorsichtshalber ihre Botschaften in islamischen Ländern. Hallo? Das kann doch nicht ernstgemeint sein, dass man vor einer Handvoll Idioten schon im Vorfeld kapituliert und auf die Knie geht. Erinnert ein wenig an die China-Pressekonferenz gestern in Brüssel, aber das ist ein anderes Thema.

  6. @G. Leichemeinung:
    Was für ein erbaulicher Kommentar. Danke! 🙂

    @Kat:
    Freut mich, dass meine Meinung Anklang findet. Und zum Schreiben: Man muss es versuchen! 😉
    Ich hab bei dem Text auch lange gezweifelt.

    @Opa Hans:
    Ja, wichtiger Punkt! Haste Recht!

    @Christoph:
    Nun ja, das ist in dem Fall aber nicht unbedingt einfach ein Herausposaunen meiner politischen Einstellung. Zum einen ist der Vergleich wirklich interessant und zum anderen muss man als Blogschreiber, wenn man sich einem so schwierigen Thema widmet, auch mit den Konsequenzen rechnen lernen. Und bei einem Artikel mit der Grundaussage „Der Islam ist doof“ finden sich schnell die o.g. Leute, stimmen dem zu und verdrehen die Intention durch eine Vereinnahmung. Ich wollte dem explizit vorbeugen, indem ich schon im Artikel klarmache, dass sich meine Religionskritik nicht als Argumentationsgrundlage für Rassismus lesen lässt.

    @Michi:
    Ja, die Pressekonferenz war auch ein Knaller, das stimmt. 🙁
    Ich finde die Sache mit der Plakataktion sehr zweischneidig. Zum einen an sich: Ich hab die Plakate nicht gesehen, nur gehört, dass sie die Grenze zum Rassismus auch mal wieder überschreiten sollen. Das ist scheiße. Die Idee an sich, Warnung vor religiösen Fundamentalisten, Hilfsangebote etc., ist hingegen nicht die schlechteste. Und ebenso die Botschaften: Natürlich ist das peinlich und blöde, auf der anderen Seite habe ich Verständnis dafür, dass niemand jetzt Tote riskieren will, bloß weil man sich durchsetzen will.

  7. Michi

    @Sash: Ein solches Plakat gibts hier zu sehen: http://www.publikative.org/wp-content/uploads/2012/08/vermisst.jpg Klar sollte man in irgendeiner Art und Weise etwas gegen Extremisten, religiöse Fundamentalisten etc. tun, aber ob das Plakat dazu geeignet ist, wage ich doch zu bezweifeln…

    Ich möchte auch nicht, dass man jetzt, nur um recht zu haben, Verletzte oder gar Tote in Kauf nimmt. Aber direkt den Kotau zu machen finde ich doch etwas übertrieben.

  8. @Kat:
    Ja, schöner Text. Ergänzt meinen prima. Oder umgekehrt, wie auch immer.

    @Michi:
    Ja, ok. Ziemlich billig, zugegeben.
    Und ich stimme Dir auch zu, dass sofortiges Einknicken bei Blödheit auch nicht immer sein darf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert