Memory 2.0

Irgendwo habe ich derletzt mal wieder gelesen, dass die arme Jugend von heute es doch so bitter haben wird, da sie später keine schönen Erinnerungen an die Natur, Ausflüge etc. haben wird – weil sie ja immer nur vor dem Rechner hängt. Aha.

Also mal abgesehen davon, dass das immer nur einen Teil der Leute betreffen wird – ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass das völlig egal ist. OK, ich mag nicht ausschließen, dass dereinst Hirnforscher dem widersprechen werden, aber vorerst würde ich mal die These aufstellen, dass es nix gibt, was mehr egal sein könnte.

Dazu ziehe ich einfach mal – so ist das bei unserösen Behauptungen Usus! – eine subjektive Testperson heran. Der Einfachheit halber – auch das macht man so! – bin das ich. Ich bin im Großen und Ganzen ein Couchpatatoe wie aus dem Lehrbuch. Ich bin zwar nicht wirklich aufgewachsen mit Computern, aber es ist nicht so, dass ich nicht auch viele Erinnerungen daran hätte. Vor dem Internet sehe ich mich mit dem Schwob in der kleinen Wohnung unseres zukünftigen Stiefvaters das Spiel Digger zocken. Ich sehe Tekken2-Fights um die ersten Bier im Keller beim Sohn eines ehemaligen Vermieters. Dann wiederum erinnere ich mich an schweißnasse Hände beim einstündigen Rennen an der Playstation in GT2, fühle mich bei Liedern vom zweiten H-Blockx-Album Discover my Soul an den Pentium 1 erinnert, auf dem ich Geheimverstecke in Wolfenstein 3D gesucht habe und denke an die vielen Achterbahnen bei Rollercoaster Tycoon mit sachma im Wintergarten meines Vaters. Unvergessen ebenfalls die LAN-Sessions mit dem Hub neben dem Katzenklo und den Headshots im Crane-Level von Unreal Tournament.
Später saß ich mit einem Bier in der Hand neben meinem Mitbewohner, während wir emule beim Saugen zugesehen haben, ich sehe mich Briefkunstwerke, Websites und Blogs erstellen. Ja, an manche Einträge, an manche Kommentare und Tage des Schreibens erinnere ich mich sehr genau. Ebenso an Chats, an tolle Texte, Bilder, Videos.

Alles was dabei auf dem Monitor erschien, war nicht real im eigentlichen Sinne. Jetzt, da es nur noch Erinnerungen sind, spielt das kaum mehr eine Rolle. Als ob Erinnerungen in diesem speziellen Sinne real wären. Die Hacker haben es anno dazumal als erste erkannt: Computer und insbesondere Netzwerke eröffnen neue Welten. Im Übrigen ebenso wie jede Form von Kunst es immer getan hat.

Meine Eltern saßen noch bekiifft auf Konzerten rum. Das hab ich auch getan, aber darüber hinaus denke ich eben auch manchmal wehmütig an stundenlanges Auskundschaften irgendwelcher Level zurück.

Die Computer, das Internet, ja sogar Computerspiele sind mittlerweile glücklicherweise weitgehend als kulturelle Bereicherung akzeptiert. Dennoch müssen sie hier wieder mal als das Böse herhalten. Wieso?

Je nachdem, auf welches Zeitalter und welche vorherrschende Meinung oder Kunstform ich mich zurückbesinnen soll, müsste ich eine ganze Menge Quatsch erlebt haben. Jahrhundertelang galt es als Königsdisziplin, in Frauen aus höheren Ständen verliebt zu sein und sie nie zu bekommen. Von Weltreisen bis zu Gruppensexorgien gibt es wahrscheinlich immer irgendwelche Dinge, die man selbst einfach nie erlebt und die einem irgendwer als unverzichtbar einreden will. Kaum jemand jedoch kann jemals alles erlebt und gesehen haben. Wir wissen nicht einmal, ob Goethe es z.B. nicht auch völlig geil gefunden hätte, sich bei WoW Level um Level nach oben zu kämpfen.

Natürlich sollte jeder irgendwann mal auf einen Baum geklettert sein. Auf der anderen Seite ist meine prägendste Wald-Erfahrung schmerzlicher gewesen als jeder Headshot bei TacticalOps – ich hab meinen geliebten Teddy im Alter von 7 Jahren im Eutiner Staatsforst zugunsten eines Stockes liegen lassen. Und ich bin verdammt froh, dass es nur ein Teddy und kein Computerspiel war!

2 Comments

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2 Responses to Memory 2.0

  1. der Schwob

    Ja…eigentlich hatten wir doch ein coole Jugend..ubd nur weil so ein besserwisser meint, die jugend hàtte keine erlebnisse an die sie sich später erinnert lügt sich dabei doch selbst in die tasche.
    Das einzige was sich ändert sind die Erlebnisse aber selbst das nur im kleinen. Wir alle erinnern uns an eltern freunde und die natur.

  2. Andreas O.

    Der Text erinnert mich an zweierlei: „Every Generation Got Its Own Disease“ (weiß der Teufel warum, ich mag die Band nicht mal) und daran, dass ich jetzt unbedingt die „Discover my Soul“ hören muss.

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