Wenn nicht schön schön ist.

Eingang zum KZ Sachsenhausen, Quelle: Sash

Eingang zum KZ Sachsenhausen, Quelle: Sash

Es ist lange her, dass ich das letzte Mal eine KZ-Gedenkstätte besichtigt habe; gerade stelle ich sogar fest, dass es inzwischen 17 Jahre sein müssten. Damals war das Dachau, gestern dann war es Sachsenhausen.

Eine ziemlich spontane Entscheidung, den intrafamiliären Ausflug mitzumachen. Eigentlich hatte ich viel zu wenig Schlaf, aber ich habe es nicht bereut. Obwohl ich mich selbst zwar durchaus für ganz gut informiert übers Dritte Reich halte, war der Besuch alles andere als nur informativ. Obwohl ich mich durchaus mit Schaudern an die durch die weißen Kiesel so unfassbar unpassend und dadurch verstörend blendende Atmosphäre in Dachau erinnern kann, habe ich gestern neben den überwältigend vielen Detailinformationen zum Lager selbst auch wieder mal ein wenig über mich gelernt. Denn ja, man wird älter und im besten Falle auch das, was gemeinhin „weiser“ genannt wird.

Natürlich ist mir die Unmenschlichkeit der Nazizeit immer schon ein Begriff gewesen und ein guter Teil meiner Überzeugungen auch als Nachgeborener speist sich aus dem Wissen, dass kaum etwas schlimmer wäre als eine Wiederholung dieser Barbarei. Tatsächlich aber ist mir dieser Besuch mehr als alle vorhergehenden vergleichbaren unter die Haut gegangen. Nun bin ich kein Psychologe, aber ich glaube, dass das insbesondere daran liegt, dass ich im Vergleich zu früher wesentlich mehr mit dem Wesen des Todes anfangen kann, da ich inzwischen ja selbst einige Familienmitglieder verloren habe. Das alles hab ich gut weggesteckt, aber ich glaube, irgendwie verändert sowas dann doch. Mir jedenfalls ist beim Anblick eines Portraits eines Verstorbenen inzwischen anders zumute als das noch vor 10 Jahren der Fall war. Und an Portraits Verstorbener mangelt es ja keiner Gedenkstätte für Naziverbrechen.

Obwohl wir gestern ohne Führung und ohne Infomaterial einfach reingelaufen sind, kann ich Sachsenhausen eigentlich nur Bestnoten verteilen. Eine gleichermaßen würdige Gedenk- wie auch informative Lehrstätte! Natürlich wären zur vollständigen Erfassung mehrere Tage notwendig gewesen, aber ich schätze, die Informationsflut ist Teil des Konzepts – zumindest fände ich es legitim zu sagen, dass niemand nach ein paar Stunden aus einem ehemaligen KZ kommen sollte und der Meinung sein, jetzt ja alles verstanden zu haben und alles zu wissen. Alles wissen über jahrelanges Leid von 200.000 Menschen, wie anmaßend das auch wäre!

Abgesehen von der tollen Umsetzung des Ganzen bleibt vor allem die Erkenntnis, dass der Ausflug nach Sachsenhausen genau deswegen schön war, weil er weit davon entfernt war, schön zu sein. Es war bedrückend in jeder Hinsicht, aber ich glaube, dass das vielleicht auch so sein sollte.
Auf dem Gelände waren natürlich unzählige Touristen. Die meisten aus dem Ausland. Und für meine bedrückte Stimmung schienen sie alle ein wenig zu disneylandmäßig unterwegs zu sein, zu fröhlich, zu lustig. Um so schöner war diese eine Wand in einer der Baracken anzusehen. Im Gegensatz zu all den anderen Wänden zeigte sie nicht die Bilder der Getöteten, erzählte nicht die Geschichte zerstörter Leben, sondern bot Besuchern die Möglichkeit, ihre Meinung zu hinterlassen. Und die – alle in englisch verfassten – Zettel waren es, die mir dann doch noch die Tränen in die Augen trieben, die ich zuvor so erfolgreich verdrücken konnte.

„a truely disturbing experience“

war auf einem Zettel zu lesen, die meisten anderen schlossen sich dem an. Und der Rest bekundete den Willen zum Widerstand und dass sich das nie wieder wiederholen dürfe.

Dass ich als ausgemachter Antifaschist den Glauben an die Menschheit in einem ehemaligen KZ wiedergewonnen habe, ist zwar zutiefst ironisch, aber hoffentlich auch ein Schlag in die Fresse für alle Neonazis.

Nie wieder!

PS: Und besucht die Gedenkstätte Sachsenhausen. Und da der Eintritt schon umsonst ist: Lasst eine Spende da!

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