Monthly Archives: Juni 2013

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Momente, in denen einem selbst Stuttgart irgendwie weltoffen vorkommt …

Dieses Wochenende war ausnahmsweise mal nicht von Arbeit bestimmt. Weder bezüglich schreiben, noch gar im Taxi. In meinem Terminplan stand mitten in der Nacht (11 – 18 Uhr) eine der Familienfeierlichkeiten, die eben manchmal anfallen. In diesem Fall ein verschobenes Pfingsttreffen, das verschiedenste Teile meiner angeheirateten Familie mal wieder an einem Tisch im Garten bei Kaffee und jeder Menge selbst zubereiteter Speisen zusammenbrachte.

Da sich inzwischen die eigene Generation umfangreich der Vermehrung widmet und die Abkömlinge zwischen Gebäck und Bäumen umhertollten, haben Ozie und ich uns für die Zigarettenpausen meist einmal ums Haus verzogen, man ist sich der Problematik ja bewusst.

Und so standen wir in der gleißenden Sonne, kniffen deretwegen die Augen zusammen und nahmen mehr schemenhaft wahr, dass eine Nachbarin dieser Kleinsiedlung mit einem Altersdurchschnitt von ungefähr 70 Jahren vorgefahren kam. Zunächst wurde sie unser kaum gewahr, dann weitete sie erschrocken Augen und Mund und rief uns über die nächstbeste Hecke zu, ob alles in Ordnung sei.

„Selbstverständlich. Der Rest sitzt hinter’m Haus und trinkt Kaffee.“

gab ich vermeintlich eindeutig zurück. Das aber beruhigte die resolute Dame kein bisschen und sie trat näher, um folgendes zu erfahren:

„Ist irgendwas schlimmes passiert?“

WTF? Was sollte denn passiert sein? Offenbar waren wir als junge Menschen ihr nicht mal per se unheimlich, also …“

„Ich mein ja nur, weil Sie hier beide … und dann in schwarz …“

DER war wirklich gut! 🙂

Wir machen uns ja nicht wirklich Gedanken über unsere gemeinhin etwas monochromen Auftritte. Vor allem aber kam noch niemand bislang auf die Idee, uns (und sei’s wie hier durch die Blume) zu fragen, ob wir einer Beerdigung wegen vor Ort wären. Aber da unterschätzt man als Berliner wohl gerne die Neugier der Menschen aneinander. Auch als wir zu Tisch zurückgekehrt waren, zeigten sich die Anwesenden wenig verwundert:

„Passiert Euch das nicht ständig?“

Nein. Nicht.

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Dumm flattert gut.

Falter. Eine Krankheit. Zumindest, wenn man Ozie glauben darf. Während ich wenigstens gelegentlich ein wenig kindliche Faszination ob der größten regelmäßig in unserem Haushalt anzutreffenden Insekten entwickele, kann sie diese Tiere nicht ausstehen. Bei der Begründung kann ich sogar mitgehen, denn tatsächlich fallen die Viecher ja nicht nur durch ihre schiere Größe auf, sondern auch durch ihre Dämlichkeit auf. Ohne Rücksicht auf Verluste erkunden sie ihre Umgebung durch direktes dagegenprallen. Die unzähligen Tock-Tocks in einem befalterten Raum können nervig sein. Und dass einem selbst von so einem scheinsuizidalen Insekt eine Kopfnuss verpasst wird, ist auch recht wahrscheinlich.

Dennoch haben wir keine Ahnung, wo die Dose herkommt.

Eine Dose Insektenspray steht in unserer Haushaltswarenecke namens Saarland und beschäftigt uns hin und wieder. Bei einer bewegten WG-Vergangenheit wie der unseren reizt es einen hin und wieder, sich zu überlegen, wer denn wohl ein „Insektenspray-Typ“ gewesen sein könnte: Unsere Bio-Essen konsumierende und Capoeira-praktizierende Frohnatur? Wohl eher nicht. Der grummelige Pädagoge oder vielleicht doch der faule kommunistische Mechatroniker?

Wahrscheinlich aber war es Ralf.

Ozie und ich sind es jedenfalls nicht gewesen, denn bei aller Liebe zur gepflegten Selbstzerstörung käme es uns beiden komisch vor, Gift in Dosen zu kaufen und das dann in der Gegend rumzusprühen. Ozie geht seit jeher mit Gläsern und Postkarten auf Falterjagd, ich selbst komme nur selten auf die Idee, so ein Tierchen überhaupt zu vertreiben.

Die Geschichte mit den Faltern und dem Insektenspray freilich kulminierten zu einem gemeinsamen Höhepunkt gestern früh – so ganz grundlos erzähle ich diesen Schwenk aus unserem Alltag dann ja auch nicht:

Ozies Zimmer war wieder mal von einem riesigen Falter besetzt (nach Zeugenberichten war er ungefähr zwei bis drei Meter groß), Ozie selbst trotzte der Gefahr so cool es ging unter ihrer Bettdecke. Es tock-tockte am Fenster, draußen war es bereits hell. Als das Geräusch dann verstummte, war die Gefahr jedoch noch nicht gebannt. Der Falter hatte es leider nicht geschafft, herauszugelangen, sondern flatterte nun im Inneren des Heizkörpers unter dem Fenster und irgendwann schlief selbst Ozie ein.
Doch der Alptraum war nach dem Aufwachen nicht etwa vorüber, nein: Immer mal wieder meldete sich das Viech, stundenlang, immer von der selben Stelle aus, es hing dort offensichtlich fest. Tolle Wurst!

Da ganz offensichtlich keine Möglichkeit bestand, der Situation irgendeine positive Wendung zu verpassen, fiel der Entschluss, das arme Tier zu erlösen. Insektenspray sollte wenigstens schneller gehen als verhungern.

Wie grenzenlos doof man sein muss, um sich als Insekt irgendwo einzuklemmen? Nun, da sollte man besser Insekten befragen. Was meine Frage ist: Ist das Vorhandensein toter Tiere in Heizkörpern bereits ein Fall für die Wohnungsbaugesellschaft? Ich hab den leisen Verdacht, dass davon nix im Mietvertrag steht …

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Verschiebungen des Lebens

Ich habe die Befürchtung, mein 16-jähriges Ich würde mich hassen.

Nicht unbedingt vollständig. Ich denke sicher, der 16-jährige Sash würde sich erstaunt fragen, wo ich bitteschön eine Frau fürs Leben herbekommen habe – und anerkennend nicken, wenn ich ihm die Geschichte mit der WG, der Party und dem vielen Alkohol erzählen würde, die nun einmal die Grundlage für die nunmehr über 7 Jahre andauernde Geschichte war.

Beim Thema Ehe wiederum …

Aber darum geht es mir gar nicht. Es geht tatsächlich um die Kunst.

„Ich hoffe, dass ich niemals zu den langweiligen Erwachsenen gehören werde, die nur noch ihre alte Musik hören, oder noch schlimmer: Die ganze Scheiße, die im Radio läuft!“

(meine Worte, ca. 1997)

Ganz so schlimm ist es natürlich nicht gekommen. Zwar höre ich tatsächlich nicht mehr so intensiv und bewusst Musik wie früher, das Radioprogramm jagt mir aber immer noch einen Schauer über den Rücken. Und bei aller Vorliebe für altes gruseln mich die ganzen Ü30-Parties, bei denen Steinzeit-Dancefloristen auftreten, die ich schon kurz nach der Veröffentlichung ihrer zwei einzigen Hits in die Tonne treten wollte, aus der sie herkamen. Ebenso finde ich – zwar wesentlich seltener als früher, aber eben immerhin manchmal – noch neue Musik, die ich nicht ablehne. So lange es mir gefällt oder objektiv betrachtet neu und/oder mutig ist, hat es meinen Respekt. Und nur weil ich sowas seltener finde, stimme ich keinen Abgesang auf dieses Jahrzehnt an. Die 80er waren schließlich auch gruselig und haben doch eine Reihe meiner Lieblingsinterpreten großgemacht oder zumindest mal sozialisiert.

Nein, das Schlimme mit der Musik ist – und das würde der 16-jährige Möchtegern-Punk nicht verstehen – dass sie mir nicht mehr so wichtig ist. Dass ich sie seltener bewusst höre, dass sie nicht mehr die Wahl Nummer 1 unter den Kunstrichtungen ist.

Ich hab mir diese Gedanken gemacht, als ich heute im Taxi durch Berlin gecruist bin und die Anlage auf „Ohrenputzen“ gestellt hatte. Im CD-Player die Discover my Soul von H-Blockx, meiner Meinung nach im Übrigen eine zu Unrecht verurteilte Band, auch wenn die Songs nicht gerade ein Aushängeschild der Komplexität sind.

„Wann hat sich das das letzte Mal so gut angefühlt, den Song voll aufzudrehen?“

hab ich mich bei „Life is feeling dizzy“ gefragt.

Lange nicht mehr, zugegeben.

Und ich musste mir von dem neugierigen Naseweis aus dem Jahre 1997 die Frage vorhalten lassen, weswegen ich nicht öfter mal die Stereoanlage auf Durchzug stelle.

Mit den Nachbarn brauche ich mich nicht verteidigen. Die hätten eine Abreibung verdient – auch für den ganzen Ehekrach, den ich mir ungefragt anhören muss – und nach all den Jahren in der WG weiß ich auch, dass der erste Besuch der Cops wegen Ruhestörung völlig lächerlich und kostenlos ist.

Des Rätsels Lösung ist viel einfacher: Es stört mich selbst. Musik ist eine erstklassige Geschichte, um sich – wenn möglich unter dem Einfluss diverser Drogen – zurückzulehnen und sich ganz und gar seinen Gefühlen zu überlassen. Diese Momente waren zahlreich in meinem Leben und ich habe sie nicht gänzlich abgehakt. Aber darüber hinaus hab ich so viel mehr gefunden im Lesen und Schreiben.
Ich bin nicht multitaskingfähig. Zumindest nicht grenzenlos. Einen Zeitungsartikel überfliege ich auch mal kurz bei Musik im Hintergrund. Volle Power gute Musik und gleichzeitig gute Texte lesen oder schreiben ist aber nicht drin. Und deswegen trat die Musik zurück. 1997 hatte ich nach der Ausgabe des Spiegels jede Woche und ein paar Kleinigkeiten den Kopf frei für Musik. So schön das war, so wenig betrübt mich die Tatsache, dass mich heute rund um die Uhr das Internet mit seinen zahlreichen kreativen Schreibern umwirbt und mir zudem die Möglichkeit gibt, meine eigenen Worte hundert-, ja, tausendfach unter die Leute zu bringen. Musik lenkt mich da oft ab, Musik unterfordert mich. Immer möchte ich nebenher etwas anderes machen. Lesen oder schreiben z.B., doch ich kann es nicht.

Musikern wird es umgekehrt ähnlich mit der Literatur ergehen.

Und auch wenn die Musik zunächst näher am Herzen scheint, ist es kein schlechter Tausch für mich gewesen. Immerhin setzt die Fokussierung auf das geschriebene Wort bei mir ungleich mehr kreatives Potenzial frei – etwas, das bei meiner Begabung im musikalischen Bereich nur sehr schlecht aufgehoben wäre …

Und weniger Freude an der Kunst kann ich mir nicht vorwerfen lassen. Liebenswerterweise wurde mir z.B. das Buch zur „Make good Art“-Rede von Neil Gaiman als Geschenk von meiner Wunschliste zugesandt, ein in meinen Augen wortgewaltiges Meisterwerk (hier als Video eingebettet), das mich jetzt umso mehr erfreut, wo ich es – neben dem Bett liegend – immer wieder hervorkramen und darin stöbern kann (Obwohl ich so langsam auf das Level komme, den Text auswendig zu können).
Neben so vielem anderen ebenfalls empfehlen könnte ich die zwar in die Jahre gekommenen, deswegen aber fast noch überraschenderen „Sterntagebücher“ von Stanislaw Lem, ein Buch, das die faszinierende Eigenschaft hat, umso witziger zu werden, je intelligenter und belesener man ist. Mir selbst – bislang allenfalls im Mittelfeld der Skala angeordnet – hat es mehr Spaß gemacht als das ein oder andere Konzert, das mein 16-jähriges Ich nicht missen wollen würde.

So gesehen lächele ich heute ein wenig über mein altes (junges) Ich – wie so ein drecksreaktionäres Arschloch damals.

Der Unterschied ist: Ich tue das nicht aus Gehässigkeit oder weil ich mich jetzt für einen besseren Menschen halte. Ich habe inzwischen, anderthalb Jahrzehnte später, andere Interessen. Und das ist wohl völlig normal. Ich möchte ebensowenig wieder 16 sein wie der Typ damals gerne 31 gewesen wäre. So ist das Leben.

Mein heutiges Ich hat dann aber doch einen Vorteil: Es hat sowohl auf Konzerten Stiefel in die Fresse bekommen, als auch ehrfürchtig vor schönen Worten geweint. Das betrachtend bin ich gespannt, was mein 46-jähriges Ich dereinst übers Bloggen und meine aktuellen Bücher denken wird.

Aber bevor ich mich da hineinsteigere, höre ich ein wenig Musik. Die H-Blockx-CD müsste hier irgendwo liegen …

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