Außerirdische in #MaHe

Die vergangenen Tage war unser Viertel ja mal wieder in tiefstes Blaulicht getaucht, denn seit einigen Wochen geben sich hier ja Nazis die quasi die Klinke in die Hand: Während die letzten von der einen Demo gerade verschwinden, tauchen die ersten zur nächsten Veranstaltung wieder auf. Und dementsprechend viel Polizei ist eben vor Ort. Der verhinderte Marsch nach Hellersdorf am Samstag hat bundesweit für Aufsehen gesorgt, darüber hinaus veranstalten diese Gestalten ohne Rücksicht auf ihre kollektive Peinlichkeit „Montagsdemos“, auf denen sie „Wir sind das Volk!“ rufend gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im Stadtteil protestieren. Das wird gerade echt zu einer ekligen Spielwiese für rechte Spinner und es ist überhaupt nicht mehr lustig, 900 aggressive Typen vor der eigenen Haustür stehen zu haben, die offenbar so ein beschissenes Leben haben, dass sie auf der Suche nach Menschen, auf die sie herabblicken können, bis zu nach Asyl suchenden Flüchtlingen gekommen sind.

Den meisten Medien ist inzwischen aufgefallen, dass das ganze keineswegs „bloß“ eine Sammlung „besorgter Bürger“ (so gerne die Eigendarstellung) ist, sondern dass altbekannte Kader verschiedenster Nazigruppierungen die sind, die die Mobilisierung und Organisation übernehmen. Und wer eine Demo nicht verlässt, die 2014 nach „Wir sind das Volk!“ skandiert: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“, der kann sein „Wir sind keine Nazis!“-Schild zu Hause lassen – so viel kleinliche Ausdifferenzierung zwischen menschenfeindlichen Geisteshaltungen braucht’s nun auch wieder nicht.

Um die welt- oder zumindest zeitfremden Gesellen ging’s mir aber nur teilweise, als ich das Wort „Außerirdische“ in die Überschrift gepackt hab, sondern damit wollte ich auch auf das fast schon gravierendere Problem hinweisen: Der geringe Widerstand. Dass bei diesen „Montagsdemos“ die Gegendemonstranten zahlenmäßig unterlegen sind, ist bitter. Wenigstens das schien sich in den letzten Jahren ja rumgesprochen zu haben: Dass Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gesellschaftlich nicht toleriert werden und dass die Vollpfosten immer die Minderheit bleiben, egal wo sie auftauchen.

(Mein persönliches Lieblingsverhältnis war irgendwann mal ungefähr 1000 : 7 in Stuttgart.)

Und das Problem ist real. Als am Samstag die Route blockiert und der Widerstand zahlenmäßig überlegen war, hat sich die Zahl der Nazi-Teilnehmer schon während der Demo halbiert, es macht also was aus, wenn Gegenwehr da ist.

Das miese Verhältnis jetzt hat verschiedene Gründe, natürlich. Die Polizei ist z.B. gibt sich wirklich viel Mühe, es eher den Gegendemonstranten schwer zu machen (Ich weiß, das behaupten immer alle Seiten von sich, aber so ein krasses Missverhältnis hab ich selten gesehen – und ein bisschen Demo-Erfahrung kann ich mir schon bescheinigen). Es gibt wenig aktive Antifa-Arbeit im Stadtteil, das Thema mobilisiert bei den Rechten auch Leute, die sonst vielleicht eher seltener demonstrieren; und das Wetter ist ja auch doof, wenn man als Linker so ewig „da raus“ fahren muss. „Zu den Plattenbauten“, zu „denen“. Ich möchte nicht kleinreden, dass es in Marzahn überproportional viele Rechte gibt. Und der latente Rassismus in viel zu breiten Bevölkerungsschichten ist natürlich hier wie überall vorhanden.

Was aber irgendwie nicht Naziaufmärsche von knapp 1000 Leuten irgendwie normal oder unwichtig macht. Wieso muss zu einem Treffpunkt, der vom Alex aus so schnell und einfach zu erreichen ist wie halb Kreuzberg, damit mobilisiert werden, dass man ja auch Leute kennt, die da wohnen und das nicht verdient haben? Ich versteh’s ja, dass Marzahn für viele Berliner im Alltag keine Rolle spielt, geht mir mit vielen Stadtteilen ja nicht anders. Aber glaubt ihr, ich fahr am ersten Mai nach Kreuzberg, weil mir jemand erzählt hat, dass es dort so viele hübsche Altbauten gibt, weil ich ja mal rausmöchte aus meinem Ghetto?

Ich komm‘ auch nicht immer zu jeder Demo, darum geht’s wirklich nicht. Und ja, auch oft weil der Weg zu weit ist, Asche auf mein Haupt. Ich finde es bloß erstaunlich, dass mich und Ozie als in Marzahn lebende Antifaschisten die Aufrufe eher genervt haben. Und unser Lokalpatriotismus ist uns schon lange bei unseren Umzügen irgendwo verloren gegangen – wenn es ihn je gab. Aber zwischen den Zeilen hat das alles immer so ein bisschen nach Zoobesuch geklungen.

„Heute fahren wir mal in den wilden Osten, wo die Plattenbaubewohner nicht merken, dass ein paar Nazis unter ihnen sind, ho ho ho!“

Das war sicher nicht immer so gemeint und ich will die Intention einzelner Leute auch ganz bewusst nicht in Frage stellen. Es sollte nämlich um was anderes gehen. Darum, dass sich in einem Berliner Stadtteil Nazis breitmachen und aufplustern. Dass sie ohne nennenswerte Gegenwehr in grotesker Zahl eine weitgehend friedliche Gegend heimsuchen, um auf dem Rücken der Allerschwächsten Stimmung für menschenverachtende Politik zu machen. Wir hier in Marzahn sind genauso schockiert davon und nicht irgendwelche Außerirdischen, die von sowas keine Ahnung haben.

Ich wohne hier seit sieben Jahren. Manchmal sogar gut als Linker erkennbar. Mir entgehen die Nazis nicht, die es hier gibt, ich bin vertraut mit deren Symbolik. Aber die meisten kuschen. Die wissen, dass sie hier wie überall kein Lob erwarten können, wenn sie sich außerhalb ihrer Cliquen befinden. Ausnahmen gibt’s sicher, aber im Vergleich zu Stuttgart ist das hier Pillepalle – und ich schätze mal stark, meine ehemalige Heimatstadt wird selten als Nazihochburg angesehen. Gestern aber hatte ich das erste Mal Angst und hab mich in meinem Supermarkt vorsichtig bewegt, weil ein paar Vorzeige-Faschohools der Demo mal eben reingekommen sind, um sich Biernachschub für den Rest des Weges zu besorgen. Ich hab drauf geachtet, wann und wo ich eine Hand frei hatte, um mich gegebenenfalls wehren zu können und ich hab draußen einen Umweg gemacht, um nicht außer Sichtweite der rumstehenden Cops zu gelangen. Die Situation hier wird scheiße ernst hier und das liegt verdammt nochmal nicht an irgendwelchen Plattenbauten, sondern an Nazis. An den selben, die in Schöneweide, Köpenick oder Buch rumlungern.

Ich hab auch nicht mehr die Freizeit oder das Geld, zu jeder Nazidemo im Umkreis von 200 km zu fahren. Und Berlin ist sowieso Demo-Hochburg, da alles mitzunehmen, wäre ein Vollzeitjob. Aber hier geht es um Aufmärsche, die bald die Grenze zur Vierstelligkeit knacken könnten. Die trotz aller Besorgte-Bürger-Romantik verdammt aggressiv sind und wirklich unglaubliche Freiheiten von der Polizei eingeräumt bekommen. Lasst uns bitte nicht alleine, #MaHe ist überall!

#angepissteAnwohner

PS: Nazispam wird kommentarlos gelöscht.

4 Comments

Filed under Politik

4 Responses to Außerirdische in #MaHe

  1. Beate

    Hi Sash, vielleicht könnte man sowas wie in Wunsiedel auch in MaHe machen.
    https://netzpolitik.org/2014/rechts-gegen-rechts-der-film-zum-unfreiwilligsten-spendenlauf-deutschlands/
    Wenn sowas bundesweit Schule macht, hören diese Dummköpfe vielleicht endlich damit auf.

  2. @Beate:
    Das war eine klasse Aktion, ich hab sehr lachen müssen. Das kann man sicher mal machen, die Idee ist wirklich gut. Aber ich glaube wirklich, dass man erst einmal (wenigstens in Ansätzen) dem „Marzahn ist ja eh rechts“-Klischee entgegenwirken sollte. Oder könnte? Ich weiß es nicht. Momentan ist hier jedenfalls die Kacke am Dampfen.

  3. semi

    Ich bin im Nachbarbezirk Hohenschönhausen aufgewachsen und kann die Problematik daher ziemlich gut nachvollziehen. Auch nachdem ich da weggezogen bin, habe ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt, die fast 1,5h Fahrtweg auf mich zu nehmen um an den Gegendemos in MaHe und HSH teilzunehmen. Aber mit der räumlichen Distanz kommt auch irgendwann das „aus den Augen, aus dem Sinn“. Aber ich gelobe Besserung: Die Demotermine kann man wegen einschlägiger Seiten auf dem Schirm haben und wenn es zeitlich gerade passt (ja, manche Sachen gehen nunmal doch irgendwie vor), reise ich nach MaHe und verkloppe demonstriere gegen „besorgte Bürger“.

  4. EutinOH

    “Momentan ist hier jedenfalls die Kacke am Dampfen.“
    Das wird Dir jetzt sicher nicht viel helfen, aber bitte : gib nicht auf !

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