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Gelesen: Houellebecqs „Unterwerfung“

Man kann Houellebecq ja nie einfach mal lesen, ohne vorher bereits auf die Skandale des Buches hingewiesen worden zu sein. Das war jetzt bei „Unterwerfung“ (Amazon-Partner-Link) natürlich noch einmal mehr der Fall. Er schreibt von einem islamisierten Frankreich, Kampf der Kulturen, islamfeindlich, etc. pp.

Nun muss ich auch klarstellen: Ich halte Houellebecq mit Sicherheit nicht für einen sympathischen Autoren und dass der Skandal bei ihm zum Programm gehört, das muss man auch nicht mögen. Ebenso sind seine „Helden“ eigentlich immer absolute Kotzbrocken oder ausgemacht peinliche Verlierer. Auch das muss man nicht mögen. Mich selbst schmerzt es auch sehr, dass er als Autor und als Mensch mit seiner Bekanntheit sich nicht mal vernünftig und widerspruchsfrei äußern kann. Die Chancen stehen gut, dass er ein ausgemachtes Arschloch mit äußerst weltfremden und/oder dummen Vorstellungen ist. Was ihn aber selbst dann noch lesenswert macht, ist, dass man sich seinen Figuren nur sehr schwer als Mensch nähern kann und es beim besten Willen nicht so wirkt, als hätte er sie aus anderem Grund erschaffen. Abgesehen von „Karte und Gebiet“, das ich sehr langweilig fand, traf auf die bisherigen Bücher von Houellebecq für mich vor allem eines zu:

Wenn man von Houellebecq mal hundert Seiten oder mehr am Stück liest, ist der komplette Tag im Arsch und jegliches Restvertrauen in die Menschheit erloschen.

Das klingt irgendwie nicht sehr positiv, ja vielleicht ist es das sogar wirklich nicht, aber ich komme nicht umhin, eine Literatur, die eine derart imposante Wirkung auf mich als Leser hat, genial zu finden. Houellebecq ist nun echt nicht der erste Autor, bei dem man sich nicht mit seinen Helden gemein machen muss, um die Geschichten interessant zu finden.

Und nun, ist „Unterwerfung“ das antiislamische Dreckswerk und verkappte Faschismuswerbung?

Wenn man sich die Ansichten des Hauptprotagonisten zueigen macht: Ja. Wobei: Eigentlich auch nein. Der „Held“ François ist einer der typischen Houellebecq-Loser, der als atheistischer Hochschullehrer während des islamischen Umschwungs in Frankreich seinen Job verliert. Und damit im Gegensatz zu den Opfern der gewalttätigen Auseinandersetzungen während dieser Zeit eigentlich gut leben kann. Seine Beziehungen bestehen eh nie lange, er denkt öfter mal über Selbstmord nach und hat irgendwie akzeptiert, dass er als übellauniger Alkoholiker den Zenit seines Lebens überschritten hat. Und am Ende des Buches stellt er fest, dass sich ihm ganz neue Chancen auftun würden, würde er – ähnlich wie viele (eigentlich Rechte) im Hochschulbetrieb – zum Islam konvertieren. Denn dann könne er sich endlich auch mehrere teils minderjährige Ehefrauen halten und vielleicht wieder besseren Sex bekommen.

OK. Der „Held“ des Romans ist also ein frauenfeindliches alkoholabhängiges Arschloch, das opportunistisch selbst einen ihm fremden Glauben annehmen will, um 15-jährige zu vögeln. Da bleibt wohl schon mal anzumerken, dass diejenigen, die sowas als Identifikationsfigur betrachten, mal einen gewaltigen Schritt zurück in den eigenen Seelenhaushalt machen sollten.

Und dann der Islam und die Gesellschaft … Ich hatte zwar ganz ehrlich den Eindruck, als hätte Houellebecq sich ziemlich mit dem Thema gequält und die islamische Umstrukturierung Frankreichs nur sehr kurz und relativ oberflächlich abgehandelt (also zumindest im Vergleich dazu, wie das Thema vom Klappentext bis zu den Pressemeldungen thematisiert wurde), aber von der Sache her ist da gar nicht viel seltsames zu lesen. Mal abgesehen davon, dass sich aufgrund der Erzählung aus Sicht des bekloppten François das meiste um die Polygamie dreht. Ansonsten nennt Houellebecq vermeintliche Vor- und Nachteile dieses Wandels und im Wesentlichen kommt dabei halt rüber, dass eine menschenverachtende Gesellschaft entsteht. Was sich aber gar nicht konkret aus den Eigenschaften des Islam herleiten lassen muss, sondern auch beispielhaft steht für die Übernahme einer pluralistischen Gesellschaft durch eine irrationale Glaubenslehre.

Man ist nach der Lektüre als Atheist durchaus geneigt, dem Autoren zu glauben, wenn er – wie wohl geschehen – behauptet, er habe von Moslems keine negative Kritik bekommen, „warum auch?“.

Wie gesagt: Ich werde Houellebecq sicher nicht freisprechen von den Vorwürfen, die teilweise von Kritikern kommen, die analytisch deutlich mehr drauf haben als ich. Vielleicht ist er wirklich ein Arschloch, vielleicht propagiert er wirklich die Ideen von Arschlöchern. Ich kann es leider nicht ausschließen.

Ich für meinen Teil hab das Buch als versteckt satirische Gesellschafts- und Religionskritik lesen können. Die Zustände, die in dem Buch geschildert werden, sind schlimm. Ich würde sogar sagen: Sehr schlimm. Aber ja, das ist das, was ich über eine Einführung der Scharia auch zuvor gedacht habe. Und die Vorstellung, dass sich Rechte opportunistisch mit Islamisten zusammentun, übersteigt meinen persönlichen Bullshit-Horizont. Warum es jetzt schlimm sein soll, dass ein Autor ein versoffenes Arschloch erschafft, das der Idee am Ende was abgewinnen kann – bitte wo ist hier der Skandal?

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Schlagfertiger Moderator

Heute Nacht in den Radio-Nachrichten (so originalgetreu wie möglich):

„Vorsicht auf der A XY zwischen Kennstenicht und Hastenichjehört: Hier ragt eine Schutzplanke in die Fahrbahn … und erfüllt damit ihre eigentliche Funktion nicht mehr.“

Wohl wahr, wohl wahr …

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Pluto. Hach.

Nun wissen wir dank New Horizons also endlich auch, wie Pluto aussieht. Und zwar so:

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Pluto, Quelle: NASA

Ich persönlich finde das wirklich schön. Ich konnte die computergenerierte Karte Plutos auf Wikipedia nicht mehr sehen. Es ist schön, endlich ein Bild zu haben, unter dem man sich etwas vorstellen kann. Ich bin ja nun in einer Zeit groß geworden, in der die meisten Planeten schon von Raumsonden besucht worden waren, man hatte Bilder. Von Pluto gab’s immer nur Zeichnungen. Er war so gesehen schon vor der Aberkennung des Planeten-Status so ein bisschen das Arschlochkind in meinem Sonnensystem. Schön, dass New Horizons noch vor seiner Degradierung gestartet wurde. 😉

Im Ernst: Dass Pluto kein Planet mehr ist, ist keine dumme Idee gewesen. Obwohl er’s für mich wohl auch immer bleiben wird. Aber wenn Pluto Planet sein soll, dann müssten wir alle uns zudem mindestens mal noch Ceres, Eris, Haumea und Makemake merken. Und das sind nur die, die ich kleiner Nerd jetzt nicht nachgeschlagen habe. Im Grunde ändert es ja nix, das Ding schleudert da draußen weiter um die Sonne – im Übrigen auch ein Lob an die DLR-Wissenschaftler, die dem kleinen Merlin das Ganze auch mal eben erklärt haben.

Tage wie heute, wo dann die ersten Nahaufnahmen von Pluto eintrudeln werden, versöhnen mich damit, dass ich die Mondlandung nicht live im Fernsehen miterlebt habe. Das war sicher noch eine Nummer größer, aber man nimmt ja, was man kriegen kann. Im Zweifelsfall auch Bilder von Herzchen-Zwergplaneten. 🙂

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Kleine Ironie des Schicksals

Das Magazin meiner Hausbank möchte offenbar gerne ein Interview mit mir zu meinem Buch führen. Das Magazin jener Bank also, die die Einnahmen aus meinen Buchverkäufen nicht als Einkommen anrechnen kann, und mir deswegen eine eigentlich sinnige Umschuldung von Dispo- auf Privatkredit verweigert.

Ich bin ja mal gespannt, ob gedruckt wird, was ich sage, falls wir tatsächlich aufs Thema Finanzen (bei einem Bank-Magazin …) zu sprechen kommen sollten …

😉

PS: Das Interview ist inzwischen Geschichte. Über Finanzen haben wir nicht geredet. Leider. 🙂

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Neues Projekt

Oops, I did it again …

Ja, ich hab mal wieder ein neues Projekt gestartet. Ungeachtet allen Ungemachs, das neue Websites so mit sich bringen, habe ich einen neuen Blog gestartet. Und ja, auch auf die Gefahr hin, dass ich hier noch weniger schreibe. Dass Nischenblogs besser sein können als privates Tralala, beweist GNIT ja nun seit fast 5 Jahren ganz gut …

Worum geht es?

Wie die meisten von Euch Lesern inzwischen wissen, interessiere ich mich ja beileibe nicht nur fürs Taxifahren oder meinen Haushalt, sondern auch für einige andere Dinge. Ein großes Steckenpferd war und wird wohl auch immer sein: Die Wissenschaft. Nicht nur, dass ich Wissenschaft an sich ein spannendes Thema finde, ich hab mich im Laufe der Jahre auch in viele Themen eingelesen. Und ebenso sehr haben mich in all den Wissenschaftsblogs die Themen Pseudowissenschaft und Esoterik gestreift. Ich hab mich auseinandergesetzt mit Theorien der „Alternativmedizin“ und Perpetuum-Mobile-Erfindern. Darüber hinaus aber auch mit Verschwörungstheorien von der „Mondlandungslüge“ bis hin zu „Reichsbürgern“ und „Chemtrails“. Ich habe etliche hundert Stunden (!) damit verbracht, irrationale Überzeugungen zu hinterfragen, zu analysieren und zu kritisieren. Nur halt kaum öffentlich. Aber dank argumentresistenten Impfgegnern schwappt derzeit eine Masernwelle durch Berlin und ich finde keine verdammte Apotheke, die nicht der Hilfsreligion Homöopathie verfallen ist.
Natürlich bin ich auf keinem der Gebiete ein Professioneller – aber ich bin im weitesten Sinne professionell darin geworden, Argumente zu analysieren. Das tun zwar freilich auch schon einige andere, aber viele machen das sehr trocken und ausschließlich möglichst seriös, weniger spielerisch erzählend und hier und da auch mal unterhaltsam.
Und genau in die Kerbe möchte ich schlagen.

Auf there-is-no-spoon.de versuche ich, in kleinen Häppchen, möglichst publikumsgerecht und auch mal kleinteilig, abstruse Theorien auseinanderzunehmen und – wenn angebracht – auch mal darüber zu spotten.

„There is no spoon“ bezieht sich als Name natürlich auf den Film „Matrix“. Er ist gewollt doppel-doppeldeutig. Natürlich ist die Kernaussage von Matrix, dass sich hinter der oberflächlichen Welt eine weitere verbirgt. Andererseits beschreibt die Löffel-Szene auch eine typische Esoteriker-Geschichte: Obwohl die Welt eigentlich komplex und von den meisten unverstanden ist, mühen sich allerlei Gurus ab, mit billigen oberflächlichen Erklärungen Lösungen zu finden für Probleme, die so oft gar nicht existieren. Warum sollte man sich seine Aura reparieren lassen, wenn es sowas nicht gibt? Warum über Begründungen für die Wirksamkeit der Homöopathie sinnieren, wo sie doch eigentlich nicht einmal diese Wirksamkeit zeigt?

Ja, TINS ist auch ein wenig plakativ angelegt, keine Frage. Aber entgegen aller Kritik, die ich fraglos in der nächsten Zeit deswegen einstecken werden muss, geht es mir nicht um Dogmatik. Ich möchte mit der Seite zwar durchaus eine Bresche für die wissenschaftliche Weltanschauung schlagen, aber ich will auch transparent sein und Fehler meiner Denkweise zugeben. So gesehen ist das Projekt für mich ähnlich spannend, wie es das hoffentlich für Euch Leser ist – und ich hoffe, dass einige von Euch die Seite besuchen oder ihr sogar via Twitter oder Facebook folgen werden.

Kleine Anmerkung: Aufgrund der heiklen Themen wird es dort in den Kommentaren anders laufen als hier. Ich werde viel raussortieren, egal ob pro oder contra meiner Meinung, ich bin dieses Mal so frei, dort keine ellenlangen Diskussionen zuzulassen. Es ist eben was anderes als ein privates Plaudern dort, versteht das bitte!

Nun aber: Bühne frei für TINS:

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„Wir würden uns freuen“

Ich wurde mal wieder gefragt, ob ich nicht heute Abend schon mit meinem Taxi an Filmaufnahmen mitwirken will. Einfach so. Mehr Infos habe ich im Grunde nicht bekommen. Ich habe geantwortet, dass es leider nicht geht, dass ich einfach ein Auto meines Chefs nehme und damit mal eben einen auf Schauspieler mache. Mir wurde folgende Antwort zuteil:

„Hallo Sascha,
wir haben mit anderen Taxifahrern gefilmt und keinem haben wir gesagt 
dass sie kostenfrei für uns fahren. […]“

Daraufhin habe ich nun folgendes geschrieben:

„Hallo XY,

inzwischen hat sich das Thema wohl erledigt und ich hoffe, Ihr habt einen Kollegen gefunden, der Euch helfen konnte. Das würde mich sehr freuen.
Ich möchte nur nochmal kurz einen Hinweis geben, warum ich der Mail keine Priorität eingeräumt habe:
Ich mache als Blogger „was mit Medien“ wie Ihr. Und auf der anderen Seite arbeite ich als angestellter Taxifahrer. Da ich über meine Arbeit schreibe, werde ich oft gefunden, wenn Leute aus welchem Grund auch immer nach Taxifahrern suchen. Das ist ok, das mag ich auch. Erschreckenderweise hab ich bisher aber von fast allen Medienschaffenden eines mitbekommen: Sie versuchen, was sie auch kriegen können, irgendwie umsonst rauszuschlagen – obwohl allen klar sein dürfte, dass Dienstleistungen ihren Preis haben.
Versteh das bitte nicht falsch, ich weiß, dass Ihr ebenso wie ich aufs Geld schauen müsst. Und das ist ok. Aber vom kleinen Regionalradio bis zu Sendungen mit Joko fragen mich Leute einfach mal an, ob ich nicht mitmachen will. Aber wirklich niemand sagt wenigstens mal „die Auslagen übernehmen wir“. Es geht nicht drum, dass ich erwarte, dass ich durch ein paar Fernsehauftritte reich werde, ich bin nicht bescheuert, ich weiß, dass das ein hartes Business ist. Aber JEDES EINZELNE MAL hab ich nachfragen müssen, ob ich wenigstens die Unkosten gedeckt bekomme. Und nicht selten (Ja, auch bei einem Herrn Joko Winterscheidt im Auto) wurde mir gesagt, dass „dafür“ „leider kein Budget“ eingeplant ist. Und deswegen bin ich skeptisch und manchmal vielleicht ein wenig gemeiner als ich es eigentlich sein will.
Ich kenne beide Seiten: Ich publiziere und ich gehe als Angestellter einer Arbeit nach. Und ich hab das Gefühl, dass im erstgenannten Bereich keiner sich auch nur die Mühe macht zu überlegen, was zweiteres vielleicht für die Beteiligten bedeuten könnte: Wir arbeiten nicht, um zufällig mal als Statisten entdeckt zu werden, sondern um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
Egal, ob wir unsere Arbeit für Spätheimkehrer oder Filmemacher leisten.
Gerade der Taxitarif ist öffentlich einsehbar und berechenbar. Wenn die teilnehmenden Fahrer bezahlt werden, warum wird das nicht kommuniziert? Immer wenn Kreative mich anfragen, muss ich als Bittsteller auftreten und meinen eigentlich wohlverdienten Lohn erbetteln. Und das ist unglaublich stressig!
Fragt Ihr auch Eure Kameramänner einfach nur an, ob sie Lust auf das Projekt hätten? So ganz ohne Hinweis auf Entlohnung oder wenigstens Spesenübernahme?
Ich mag naiv sein, aber ich schätze: Nein.
Ganz ehrlich: Ändert das! Ändert dieses Kommunikationsverhalten!
Ich hab schon bei einigen Projekten mitgemacht, obwohl klar war, dass die Entlohnung gering oder quasi inexistent sein würde. Das ist ok; ich weiß, dass ich nicht als einziger aufs Geld schauen muss.
Aber egal ob als Blogger oder Taxifahrer – ich werde jeden Tag gefragt, was ich nicht alles machen würde. Umsonst, vielleicht umsonst, vielleicht gegen eine Aufwandsentschädigung, vielleicht für ein paar Euro, vielleicht für ein gutes Honorar. Aber nie wird das kommuniziert. Deswegen ignoriere ich solche Anfragen inzwischen eigentlich immer. Und eigentlich finde ich das selber schade, weil ich mich der Kunst und der Kultur nicht weniger verbunden fühle als meinem Geldbeutel. Ich mag’s nur nicht, wenn man mich verarschen will.

Wie gesagt: Ich hoffe, es haben sich interessierte Kollegen gefunden. Ich wünsche auch ganz ehrlich viel Glück mit dem Filmprojekt! Aber diese Gedanken musste ich einfach noch loswerden.“

Ich bin doch kein Depp, der 10.000 € dafür haben will, dass er einmal in eine Kamera grinst. Aber wie oft ich schon dieses „Komm einfach kurz mit deinem Taxi vorbei …“ gehört oder gelesen habe …

Im Übrigen trifft das auch auf Stellenanzeigen zu. „Lohn nach Vereinbarung“ … ja nee, is‘ klar!

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Wovor haben wir eigentlich Angst?

Die Saison beginnt wieder, jeden Tag aufs Neue machen sich afrikanische Flüchtlinge auf die mörderische Reise nach Europa. Sicher ein Kontinent, von dem ihnen zu viel gutes berichtet wurde, eine Reise, von der sie zu hohe Erwartungen haben. Und am Ende ist – selbst wenn sie die Reise überlebt haben sollten – nicht einmal das auch nicht ganz so goldene Leben in irgendwelchen Flüchtlingslagern ihr Problem, sondern meist die direkte Abschiebung oder die oftmals allumfassende Ablehnung der Einwohner dieser seltsamen Länder.

Und eines dieser seltsamen Länder ist das, das wir alle hier am besten kennen: Deutschland. Hier werden wieder jede Woche Flüchtlingsheime angezündet und es wird davor gewarnt, wie schlimm das doch alles ist mit diesen „Flüchtlingen“. Am Ende gar „Wirtschaftsflüchtlingen“. Was so dermaßen grotesk ist, dass einem dazu kaum was vernünftiges einfällt, weil es immer nur auf dieses billige „Wir gegen Die“-Ding rausläuft. Ist nicht parteiübergreifend inzwischen akzeptiert, dass Deutschland Zuwanderer braucht? Und eine Verjüngung? Selbst die Profikapitalisten der FDP wollen ja unbedingt weniger Einschränkungen, damit man hier besser Geld verdienen kann. Und dann kommen ein paar lächerliche tausend Leute, die nichts lieber tun würden, als endlich unter guten Bedingungen zu arbeiten – und wir schicken sie weg und verbieten ihnen das Arbeiten sogar noch, bevor sie abgeschoben werden. Kommen ganze Familien, wird gejammert, dass „die“ ja nur auf Kindergeld und Hartz4 geil wären, kommen junge Männer, wird gebrüllt, dass eigentlich arme Kriegsflüchtlingsfamilien versprochen wurden.

Selber den Arsch nicht hochkriegen, aber von den Ärmsten der Armen und den Verzweifeltsten der Verzweifelten fordern, dass sie gleichermaßen demütig wie tatendurstig, arm wie selbständig sind.

Und all das natürlich, weil „wir“ uns das nicht leisten könnten, oder – wenn man bereits ein paar Hemmungen weniger hat – weil die ja doch alle ziemlich dunkle Hautfarbe haben und im Dorf schon sehr auffallen würden. WTF, Deutschland?

Kleiner Einschub: Ja, ich schreibe das jetzt, weil es derzeit medial präsent ist, aber ich bin nicht so blöd, zu glauben, das wäre davor groß anders gewesen.

Ja, ich hab als denkender Mensch immer schon ein Problem mit Rassismus gehabt. Damit war ich lange Zeit keineswegs Verkünder einer Mehrheitsmeinung, und das obwohl ich nicht ’33 geboren wurde, sondern derzeit 33 Jahre alt bin. Den Grundgedanken zu entwickeln, dass es schon eine ganz coole Sache wäre, würden wir einfach alle Menschen als gleichberechtigte Menschen ansehen, war also nicht ganz so aufgezwungen und selbstverständlich, wie irgendwelche weinerlichen Schnullernazis heute behaupten, wenn sie mich als „Gutmenschen“ diffamieren.

Aber das Dumme an der Sache ist: Es läuft wirklich alles auf dieses „Wir gegen Die“ raus. Wäre es ok, dass nicht-weiße, nicht-deutsche Menschen einfach ein Teil unserer Gesellschaft sein könnten – könnten! – dann würden wir nicht nur Seerettungsboote zu entsenden, sondern auch ernsthaft versuchen, die Integration voranzutreiben. Ernsthaft!

Hier in Berlin vergesse auch ich bisweilen, wie wenig das mit den verschiedenen Kulturen teilweise verbreitet ist. So meinte eine Frau aus Sachsen neulich im Taxi zu mir, sie wäre in der U-Bahn „von so einem Zigeunerweib“ angebettelt worden, obwohl sie eigentlich dachte, „dass die im Fernsehen sich sowas nur ausgedacht hätten“. Tja, wie sollte ich mir Hoffnungen machen, dass diese – sonst eigentlich nette – Frau jemals kapiert, wie wichtig multikulturelles Leben außerhalb ihrer kleinen dörflichen Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten geworden ist?

Alle haben sie Angst, etwas „zu verlieren“. Da muss ich doch mal ehrlich fragen: WAS DENN?

Ist das Retten von tausenden von Leben nicht vielleicht wert, in der Bahn auch mal eine andere Sprache zu hören, die man nicht versteht? Ist es nicht ein beschissen vernachlässigbares Problem, beim Kindergeburtstag mal keinen Schweinebraten zu reichen, weil der beste Freund von Kevin-Florian nicht Max sondern Yussuf heißt?

Natürlich kosten Flüchtlinge, kostet Integration. Nicht nur Überwindung, sondern auch Geld. Das sollten auch wir Flüchtlingsunterstützer nicht kleinreden, das ist so. Punkt.

Ebenso einen Punkt können wir aber auch hinter die Aussage packen, dass wir „das“ nicht alles fernhalten können. Unser Wohlstand ist eng verknüpft mit vielen Ländern, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen. Und natürlich können wir zwar einerseits billige Klamotten ankaufen, andererseits aber den Menschen verweigern, jemals unseren Lebensstandard zu erreichen. Aber dann sind wir halt Arschlöcher. Dann sind wir nicht besser als die absolutistischen Herrscher und Diktatoren, die wir hoffentlich auf Dauer in unsere Geschichtsbücher verbannt haben. Denn natürlich müssten wir unseren Wohlstand dann mit Waffengewalt verteidigen und uns in unser „Schloss“ Europa zurückziehen, während die Fremden von der Burgmauer aus erschossen werden. Und das ist leider keine weit hergeholte Metapher, die Menschen sterben an der EU-Grenze. Massenhaft. Stichwort: Festung Europa.

Ich schreibe das als Mitteleuropäer, Deutscher, Weißer. Beschäftigt in einem Niedriglohnjob, der dafür bekannt ist, dass Migranten ihn machen. Ich lebe je nach Monat dies- oder jenseits der Armutsgrenze, ich habe keinen Cent zu verschenken, wirklich nicht. Und auch mein Selbsterhaltungstrieb ist weitgehend intakt, ich werde mich auf Teufel komm raus dagegen wehren, unter die Räder zu kommen, ich will leben, und ich habe mich dabei an den Status quo gewöhnt, der mir immerhin mal ein Dach über dem Kopf, genug (überwiegend gutes) Essen, fließend Wasser, Strom, Internet etc. garantiert. Ich habe etwas zu verlieren.

Aber – und das möchte man Dorfsachsen mit begrenztem Blick über den Tellerrand zurufen – ich jammere hier auf hohem Niveau! Ich würde natürlich alles darum geben, mir diese Sicherheiten wenigstens zu erhalten.
Aber ich habe mich entschieden, kein egozentrisches Arschloch zu sein, das, nur weil es 2017 vielleicht 100 € mehr Steuern zahlen muss, einen Hass zu entwickeln auf Menschen, für die fließend sauberes Wasser bedeutet, dass sie nicht mit 40 sterben.

Ich bin in Deutschland geboren, lange nach dem letzten Krieg. Ich bin männlich, weiß, fett, arm und überlebe irgendwie. Ich erlaube es mir sogar, mit Blogs und Büchern irgendwie meinem persönlichen Traum nachzujagen. Und alles, was ich mir wünsche, ist folgendes:

Jede(r) auf der Welt sollte wenigstens dieses minimalste Glück erreichen können. Wenigstens einen Plattenbau in Marzahn, wenigstens alle paar Jahre mal eine schwarze Null auf dem Konto.

Wie kaputt muss man sein, Menschen noch viel weniger zu neiden? Wir reden hier von ein paar potenziellen Steuererhöhungen, nicht mehr.

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