Wovor haben wir eigentlich Angst?

Die Saison beginnt wieder, jeden Tag aufs Neue machen sich afrikanische Flüchtlinge auf die mörderische Reise nach Europa. Sicher ein Kontinent, von dem ihnen zu viel gutes berichtet wurde, eine Reise, von der sie zu hohe Erwartungen haben. Und am Ende ist – selbst wenn sie die Reise überlebt haben sollten – nicht einmal das auch nicht ganz so goldene Leben in irgendwelchen Flüchtlingslagern ihr Problem, sondern meist die direkte Abschiebung oder die oftmals allumfassende Ablehnung der Einwohner dieser seltsamen Länder.

Und eines dieser seltsamen Länder ist das, das wir alle hier am besten kennen: Deutschland. Hier werden wieder jede Woche Flüchtlingsheime angezündet und es wird davor gewarnt, wie schlimm das doch alles ist mit diesen „Flüchtlingen“. Am Ende gar „Wirtschaftsflüchtlingen“. Was so dermaßen grotesk ist, dass einem dazu kaum was vernünftiges einfällt, weil es immer nur auf dieses billige „Wir gegen Die“-Ding rausläuft. Ist nicht parteiübergreifend inzwischen akzeptiert, dass Deutschland Zuwanderer braucht? Und eine Verjüngung? Selbst die Profikapitalisten der FDP wollen ja unbedingt weniger Einschränkungen, damit man hier besser Geld verdienen kann. Und dann kommen ein paar lächerliche tausend Leute, die nichts lieber tun würden, als endlich unter guten Bedingungen zu arbeiten – und wir schicken sie weg und verbieten ihnen das Arbeiten sogar noch, bevor sie abgeschoben werden. Kommen ganze Familien, wird gejammert, dass „die“ ja nur auf Kindergeld und Hartz4 geil wären, kommen junge Männer, wird gebrüllt, dass eigentlich arme Kriegsflüchtlingsfamilien versprochen wurden.

Selber den Arsch nicht hochkriegen, aber von den Ärmsten der Armen und den Verzweifeltsten der Verzweifelten fordern, dass sie gleichermaßen demütig wie tatendurstig, arm wie selbständig sind.

Und all das natürlich, weil „wir“ uns das nicht leisten könnten, oder – wenn man bereits ein paar Hemmungen weniger hat – weil die ja doch alle ziemlich dunkle Hautfarbe haben und im Dorf schon sehr auffallen würden. WTF, Deutschland?

Kleiner Einschub: Ja, ich schreibe das jetzt, weil es derzeit medial präsent ist, aber ich bin nicht so blöd, zu glauben, das wäre davor groß anders gewesen.

Ja, ich hab als denkender Mensch immer schon ein Problem mit Rassismus gehabt. Damit war ich lange Zeit keineswegs Verkünder einer Mehrheitsmeinung, und das obwohl ich nicht ’33 geboren wurde, sondern derzeit 33 Jahre alt bin. Den Grundgedanken zu entwickeln, dass es schon eine ganz coole Sache wäre, würden wir einfach alle Menschen als gleichberechtigte Menschen ansehen, war also nicht ganz so aufgezwungen und selbstverständlich, wie irgendwelche weinerlichen Schnullernazis heute behaupten, wenn sie mich als „Gutmenschen“ diffamieren.

Aber das Dumme an der Sache ist: Es läuft wirklich alles auf dieses „Wir gegen Die“ raus. Wäre es ok, dass nicht-weiße, nicht-deutsche Menschen einfach ein Teil unserer Gesellschaft sein könnten – könnten! – dann würden wir nicht nur Seerettungsboote zu entsenden, sondern auch ernsthaft versuchen, die Integration voranzutreiben. Ernsthaft!

Hier in Berlin vergesse auch ich bisweilen, wie wenig das mit den verschiedenen Kulturen teilweise verbreitet ist. So meinte eine Frau aus Sachsen neulich im Taxi zu mir, sie wäre in der U-Bahn „von so einem Zigeunerweib“ angebettelt worden, obwohl sie eigentlich dachte, „dass die im Fernsehen sich sowas nur ausgedacht hätten“. Tja, wie sollte ich mir Hoffnungen machen, dass diese – sonst eigentlich nette – Frau jemals kapiert, wie wichtig multikulturelles Leben außerhalb ihrer kleinen dörflichen Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten geworden ist?

Alle haben sie Angst, etwas „zu verlieren“. Da muss ich doch mal ehrlich fragen: WAS DENN?

Ist das Retten von tausenden von Leben nicht vielleicht wert, in der Bahn auch mal eine andere Sprache zu hören, die man nicht versteht? Ist es nicht ein beschissen vernachlässigbares Problem, beim Kindergeburtstag mal keinen Schweinebraten zu reichen, weil der beste Freund von Kevin-Florian nicht Max sondern Yussuf heißt?

Natürlich kosten Flüchtlinge, kostet Integration. Nicht nur Überwindung, sondern auch Geld. Das sollten auch wir Flüchtlingsunterstützer nicht kleinreden, das ist so. Punkt.

Ebenso einen Punkt können wir aber auch hinter die Aussage packen, dass wir „das“ nicht alles fernhalten können. Unser Wohlstand ist eng verknüpft mit vielen Ländern, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen. Und natürlich können wir zwar einerseits billige Klamotten ankaufen, andererseits aber den Menschen verweigern, jemals unseren Lebensstandard zu erreichen. Aber dann sind wir halt Arschlöcher. Dann sind wir nicht besser als die absolutistischen Herrscher und Diktatoren, die wir hoffentlich auf Dauer in unsere Geschichtsbücher verbannt haben. Denn natürlich müssten wir unseren Wohlstand dann mit Waffengewalt verteidigen und uns in unser „Schloss“ Europa zurückziehen, während die Fremden von der Burgmauer aus erschossen werden. Und das ist leider keine weit hergeholte Metapher, die Menschen sterben an der EU-Grenze. Massenhaft. Stichwort: Festung Europa.

Ich schreibe das als Mitteleuropäer, Deutscher, Weißer. Beschäftigt in einem Niedriglohnjob, der dafür bekannt ist, dass Migranten ihn machen. Ich lebe je nach Monat dies- oder jenseits der Armutsgrenze, ich habe keinen Cent zu verschenken, wirklich nicht. Und auch mein Selbsterhaltungstrieb ist weitgehend intakt, ich werde mich auf Teufel komm raus dagegen wehren, unter die Räder zu kommen, ich will leben, und ich habe mich dabei an den Status quo gewöhnt, der mir immerhin mal ein Dach über dem Kopf, genug (überwiegend gutes) Essen, fließend Wasser, Strom, Internet etc. garantiert. Ich habe etwas zu verlieren.

Aber – und das möchte man Dorfsachsen mit begrenztem Blick über den Tellerrand zurufen – ich jammere hier auf hohem Niveau! Ich würde natürlich alles darum geben, mir diese Sicherheiten wenigstens zu erhalten.
Aber ich habe mich entschieden, kein egozentrisches Arschloch zu sein, das, nur weil es 2017 vielleicht 100 € mehr Steuern zahlen muss, einen Hass zu entwickeln auf Menschen, für die fließend sauberes Wasser bedeutet, dass sie nicht mit 40 sterben.

Ich bin in Deutschland geboren, lange nach dem letzten Krieg. Ich bin männlich, weiß, fett, arm und überlebe irgendwie. Ich erlaube es mir sogar, mit Blogs und Büchern irgendwie meinem persönlichen Traum nachzujagen. Und alles, was ich mir wünsche, ist folgendes:

Jede(r) auf der Welt sollte wenigstens dieses minimalste Glück erreichen können. Wenigstens einen Plattenbau in Marzahn, wenigstens alle paar Jahre mal eine schwarze Null auf dem Konto.

Wie kaputt muss man sein, Menschen noch viel weniger zu neiden? Wir reden hier von ein paar potenziellen Steuererhöhungen, nicht mehr.

5 Comments

Filed under Haushalt, Medien, Politik, Vermischtes

5 Responses to Wovor haben wir eigentlich Angst?

  1. Wahlberliner

    Passend dazu dann diese grauenhafte Meldung:
    http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Fluechtlinge-misshandelt-Bundespolizist-im-Visier,misshandlung132.html

    Es sind also leider nicht nur Dorfsachsen, sondern das Problem geht viel tiefer. Bis hin in Positionen der Macht, in der solche Leute keinesfalls arbeiten dürften.

  2. Hallo Sash,

    einen sehr schönen Artikel hast du hier geschrieben.

    Ich muss leider zugeben dass, trotz der Tatsache dass Ich nun schon seit über einem Jahr ohne Fernseher lebe, mir immer noch auffällt wie diese Medienwelt die man so in Deutschland, mehr oder minder bewusst oder unbewusst, konsumiert bei diesen Themen die Leute immer wieder vorne und hinten zu manipulieren versucht.

    Auch Ich habe lange die Meinung vertreten dass Europa nicht „ganz Afrika“ Asyl gewähren kann. „Zaun drum und fertsch!“

    Ist ja so einfach.

    Ich finde es schade dass einem die Medien nicht die Möglichkeit bieten sich eine unabhängige, objektive Meinung zu bilden.

    Ich muss leider zugeben dass Ich für dieses Problem auch keine Lösung weiss.

    Klar ist dass das Aufnehmen von Flüchtlingen keine Dauerlösung auf die nächsten Jahrzehnte ist, genauso wenig wie permamente Entwicklungshilfe.

    Ich glaube ein „Allheilmittel“ wird es dafür nicht geben, dazu ist die Ausgangsstellung viel zu komplex.

    Es ist meines Erachtens bemerkenswert wie subtil es die Medien geschafft haben die Meinungen in Deutschland so hinzubiegen dass Otto Normalverbraucher auf der Straße sag dass es ja „nur“ Flüchtlinge sind die da im Mittelmeer absaufen.

    Ich muss zugeben dass jedes deiner Worte in diesem Artikel wahrer nicht sein könnte.

    Danke.

    Grüße aus Dresden

    Philipp

  3. Hm,
    schwieriges Thema. Klar, Deutschland braucht jüngere Bewohner, ansonsten stirbt es langsam aus (bzw. überaltert). Und Überaltern ist für kein Renten- oder Krankensystem gut.

    Andererseits: wir sollten nicht einfach so sagen: kommt, ihr lieben Kinderlein! Das geht nicht gut. Zur Integration gehört auch, nicht besser stellen als Deutsche im eigenen Land. Denn all die Mittel sind Mittel, die auch die Anspruchsberechtigten mit ihren Steuern finanziert haben. Des weiteren sollte die Wohnsituation geklärt sein. Ghettos sind schlecht. Und es sollten definitiv Sprachkenntnisse vorhanden sein oder die Bereitschaft vorhanden sein, sich solche innerhalb kurzer Zeit anzueignen. Und darüber eine Prüfung abzulegen.

    Dabei geht es mir nicht darum, dass ich denen ihre Sprache verbieten möchte. Ich möchte nur, dass diese Menschen fähig sind, in Deutschland klarzukommen. Mit den Behörden, mit Gerichten, mit Formularen – mit allem, was in deutsch ist. Denn das halte ich für entscheidend.

    Und dann gibt es da noch einen großen Einwand: es hilft nicht, wenn man das Problem nicht an der Wurzel packt und beseitigt. Wir können da soviel Geld hinpulvern oder Flüchtlinge rausholen, wie wir wollen. Ein Ende wird es da nicht geben. Es muß den Mut und den Willen geben als auch die Aufgabe sein, die Mißstände vor Ort anzugehen. Denn ansonsten hilft das alles nur temporär – und auch nur denen, die gerade flüchten.

    Vielleicht sollte man sich generell mal das Modell Wirtschaft und Welt neu durchdenken. Denn ein Wachstum auf immer und ewig wird es nicht geben. Und jedes Wachstum auf der einen Seite hat den Armut der anderen Seite zur Folge. Es wäre doch viel schöner, wenn es ausgeglichen wäre. Win-Win für alle, wesentlich weniger Kriege und Krisen – und trotzdem ein schönes Leben.

  4. Franky

    Ich frage mich, wo ich anfangen soll, wenn jemand aus seiner „national“ weitestgehend „befreiten“ Zone und kinderlos über solche Probleme urteilt. Aber dann fällt mir ein, dass du ja eh allzu missliebige und stichhaltige Kommentare löschst. Ja ja, dass jemand auf der Straße „Ausländisch“ spricht ist das allergrößte Problem. Das sah auch bestimmt Elin Krantz so.

  5. @Wahlberliner:
    Ja, sowas kommt dann noch dazu.

    @philipp:
    Ja, DIE große und allgemeine Lösung hat vermutlich keiner, das maße ich mir auch nicht an. Umso mehr ist die Frage, wie man mit akuten Problemen umgeht. Und es ist schon erstaunlich, dass Deutschland, das sich vor den wirklich massiven Flüchtlingsströmen ziemlich bequem im Zentrum der EU versteckt hat, so laut jammert. Wann so viele Leute im Inland mal an unterlassener Hilfeleistung sterben würden, wäre das für alle offensichtlich unerträglich, aber bisher scheint da teilweise eine Haltung vorzuherrschen, dass es theoretisch auch einfach die Option hat, sich für nicht zuständig erklären zu können.

    @ednong:
    Ja, ein generelles Umdenken scheint mir auch sinnvoller und nachhaltiger zu sein. Das Problem ist nur, dass es noch viel mehr Aufwand ist und noch mehr Leute vor den Kopf stößt und damit noch schwieriger umzusetzen ist.

    @Franky:
    Ja, wenn sie so bescheuert sind, lösche ich Kommentare gerne. Oder ich formuliere sie um, so dass auch jeder sieht, wie bescheuert sie sind. Aber zum einen wollte ich dich wissen lassen, dass dich keiner zwingt, hier zu lesen – und Du kennst meine Meinung ja. Zum anderen berechtigt dich eine erfolgreiche Fortpflanzung nicht zum eklig sein. Und mal abgesehen davon, dass Marzahn nur dann halbwegs ausländerfrei ist, wenn man dummdreist nach Hautfarben sortiert: Ich hab meine Grundschulzeit unter Migranten verbracht, ich weiß durchaus auch, wovon ich spreche.

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