Das Jahr des Ryan Bell

Eine interessante und aus meiner persönlichen Sicht dann doch auch schöne Geschichte kommt aus den USA und einige werden sie vielleicht schon mitbekommen haben:

Der Pfarrer Ryan Bell hat das komplette Jahr 2014 ohne Gott gelebt (Originaltext, englisch). Er hat also nicht mehr gebetet, ist nicht mehr zur Kirche gegangen und hat sich darin geübt, atheistische Weltansichten zu verstehen. Davor war er wohl schon ein recht freigeistiger Pfarrer und durchaus am Hadern mit dem Glauben – aber eigentlich wollte er zu seinem Glauben zurückfinden, indem er die Erfahrung macht, wie es ist, wenn Gott fehlt.

Er hat sich bloggend in dieses Jahr begeben und ist durch ein wenig Öffentlichkeit schnell mit der atheistischen und skeptischen Szene in Kontakt gekommen. Es soll dieses Jahr sogar einen Dokumentarfilm über ihn geben. Das einst folgsame Schäfchen Ryan Bell hat viel gelesen, viel gelernt und schon weit vor Ablauf des Jahres ziemlich kritische Worte gegenüber seiner Ex-Religion gefunden. Und Gott? Bell hat nicht nur keinen Unterschied bei seiner „Abwesenheit“ bemerkt, sondern auch festgestellt, dass ein Weltbild ohne Gott nicht nur irgendwie besser erklärbar ist, sondern auch besser zu seinen Moral- und Wertvorstellungen passt. Er ist inzwischen atheistischer Humanist und hat seine Erkenntnisse und Überlegungen in seinem Blog geistreich und mit erstrebenswerten Selbstkritik vermittelt.

Er gibt zu, dass es ihm schwerfällt, seinen Glauben loszulassen und er gibt auch zu, dass er eigentlich froh wäre, wenn es Gott geben würde. Aber er beschreibt auch seinen Erkenntnishunger, der ihn plötzlich getrieben hat, bis ihm aufgefallen ist, dass er schon vorher viele Stellen der Bibel ignoriert hat, weil sie nicht zu all dem da draußen gepasst haben und wie er letzten Endes zu der Erkenntnis gekommen ist, dass nicht Gott die Erde geschaffen hat, sondern die Menschen Gott. Dabei sind seine Beiträge so unaufgeregt, wie man sich das bei diesem großen Thema überhaupt nicht vorstellen kann. Obwohl er seinen eigenen Ex-Glauben durchaus radikal als Unsinn entlarvt, findet man nicht den Hauch von bösen Worten, geschweige denn irgendwelche Angriffe auf Noch-Gläubige. (Ich habe nur ein paar ausgewählte Einträge gelesen, vielleicht gibt es auch Ausnahmen)
Er arbeitet inzwischen sogar für eine kirchliche Obdachlosenhilfe.

Dass Bell zuvor schon ein Zweifler und offenbar ein Humanist war, der sich z.B. gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und Transgendern ausgesprochen hat, trübt vielleicht ein wenig das „Märchen vom gewandelten Hardliner“. Was aber viel schöner als ein Märchen ist, ist eine wahre Geschichte. Und so eine scheint jene von Ryan Bell zu sein. Und ich meine es ernst: Ein Blick in seinen Blog lohnt wirklich!

3 Comments

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3 Responses to Das Jahr des Ryan Bell

  1. Nunja, dass das Aufregung gab kann man sich denken wenn man weiss dass es in den USA auch eine, Ich will sagen kirchenähnliche, Vereinigung von Atheisten, die „American Atheists“ gibt.

    Grüße aus Dresden

    Philipp

  2. Wahlberliner

    Das klingt nach einem tollen, persönlichen Entwicklungsweg. Trotzdem erinnert es mich wieder an den alten Spruch: „Religion ist was für Leute, die Angst haben, in die Hölle zu kommen. Spiritualität ist für die, die schon dort waren…“ 😉
    Will sagen: Vom Religioten zum Atheisten ist gut, solange man damit nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschüttet, und gleich sämtliches „höheres“ (gezielt ohne zu wissen, was oder wie auch immer dies sein mag) mit negiert. Wenn man Lust hat, kann man sogar sowas wie in die Nähe des Agnostizismus kommen, aber das ist halt nicht nötig, kann Dinge aber (je nach Persönlichkeitsstruktur) erleichtern.
    Oder, anders ausgedrückt: Religion hält die Leute dumm, das ist klar. Aber die ursprüngliche Frage „ist das etwa wirklich schon alles??“, aus der Religionen ursprünglich einmal entstanden sind, dann einfach mit „ja!“ zu beantworten, geht in dieselbe dogmatische Richtung, wie die Religionen – nur halt mit anderem Vorzeichen.
    Es ist doch immer am besten, völlig unvoreingenommen zu sein – und wenn man Interesse hat an Dingen, die „nicht von dieser Welt“ zu sein scheinen, dann ist das so ein persönliches Ding, da kann man keine Lehre zu konsultieren, noch – bei entsprechenden Erfahrungen – eine draus machen, sondern es zeigt sich halt alles so, wie es sich zeigt. Dem einen mehr, dem anderen weniger. Weder sollte man „Sucher“ sein, noch verbohrter Dogmatiker in die eine oder andere Richtung. Und eben nichts ausschließen, was man nicht selbst mit eigenem Erkennen als ungültig/falsch erkannt hat (wie z.B. die „Le[e|h]re“ der Religionen).

  3. @Philipp:
    Nun ja, ich denke, die Aufregung liegt eher allgemein im christlichen Selbstverständnis der amerikanischen Kultur begründet, weniger in einer einzelnen Organisation von Atheisten.

    @Wahlberliner:
    Das Problem an der Aussage ist aber, dass die eigene Wahrnehmung höchst fehleranfällig ist. Das mag besser sein als Dogmatismus, keine Frage – aber die wissenschaftliche Forschung als Ganzes stellt doch eine wesentlich vertrauenswürdigere Basis für extrem schwierige Fragen wie die nach einer eventuell vorhandenen höheren Macht dar. Und in diesem Sinne finde ich nichts falsch daran, „Sucher“ in dem Sinne zu sein, die Realität unserer Welt zu erkunden und – wie Du richtig geschrieben hast – unvoreingenommen (soweit möglich zumindest) zu erforschen.
    Wenn man statt möglichst objektiver Realität lieber persönliche Wahrnehmungen in seinen Erfahrungsschatz aufnehmen möchte (Religion, Drogen, etc.), dann sollte das natürlich jedem freistehen. Vermutlich wäre es aber dem Planeten dienlicher, möglichst viele Menschen – und damit auch viele in verantwortungsvollen Positionen – zu haben, deren Interesse nicht ein persönliches oder gar von Dogmatik bestimmtes ist.

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