Ist Instagram besser als Twitter?

oder: eine kleine Offline-Analogie

Ich bin ja – wie man an der Tatsache, dass ich mich auf mehreren Seiten um Kopf und Kragen blogge, bemerken könnte – ein Freund des Internets. Mit all seinen Macken und Unzulänglichkeiten ist es dennoch ein großer Segen für zahllose Leute gewesen, ist es immer noch und wird es immer mehr sein. Wie wahrscheinlich auch alle von euch nutze ich das Netz längst intuitiv. Das bedeutet natürlich niemals, alles zu kennen, alles zu wissen – aber eben zu wissen, wie man sich verhält, man hat Denk- und Handlungsansätze für so ziemlich alles, was einem im Netz begegnet und passiert.

Nun gehören aber auch zu meinem erweiterten Umfeld Menschen, die nicht online sind. Oder nur rudimentär, um hier und da mal den Email-Account aufzurufen, der seit 2001 von den Kindern eingerichtet brav bei web.de liegt. Und wenn man viel im Netz ist, auf der anderen Seite aber ein paar Offliner kennt, dann kommt sie gelegentlich, die Frage:

„Kannst Du mir das mit dem Internet erklären, also was man da so macht?“

Was dann mit einem durchgeht, das ist in einem wunderbaren Text auf Blogroyal nachzulesen. Darauf aufmerksam geworden bin ich über Maximilian Buddenbohms Link in diesem Artikel.

Es ist sicher nicht sehr befriedigend, aber die Antwort auf die Frage, was das Internet ist/ausmacht, kann allenfalls „probier’s aus!“ lauten. Wir, die wir hier lesen und schreiben (und was weiß ich noch machen!) haben doch längst keine gültige Antwort mehr. Auf der Suche nach Analogien für brauchbare Erklärungsansätze bin ich mit Ozie aufs Essen gekommen. Und das hat es in sich. Es folgt der Teil zum Ausdrucken für die Offliner; ein kleiner Ansatz von mir, bekennendem Onliner; ein Eingeständnis, auf die Frage nach dem Internet nicht antworten zu können, obwohl ich es gerne würde:

Stell Dir vor: Ein Bauer,

ein einsamer Landwirt von einer kleinen Alm, die man nur im Sommer erreicht, steigt von seinem Berg, auf dem er Tiere und Pflanzen züchtet, ohne Radio, Fernsehen und Zeitung als kompletter Selbstversorger lebt und fragt:

„Sag mal, wie ist das eigentlich bei euch mit dem Essen?“

Er fährt fort und meint, er hätte gehört, er müsse gar nicht alles selbst anbauen – und jetzt, wo er eine kleine Erbschaft hätte, könnte er sich auch Essen kaufen. Er hätte es ja gerne etwas einfacher, der Rücken macht nicht mehr so mit und er hätte gehört, es gäbe so genannte Supermärkte, in denen man alles kaufen könnte. Sogar Essen, das schon gekocht ist und gar nicht mehr auf den Herd muss.

Was würde man diesem netten Bauern antworten? Man würde ihm vielleicht den Weg zum nächsten Supermarkt zeigen, dann aber denken:

„Mist, der macht ja heute früher zu.“

„Wieso macht der zu? Gibt es dann hier kein Essen mehr?“

„Nein nein, man hat ja meistens was im Kühlschrank! Und im Notfall kann man sich ja ums Eck eine Pizza holen.“

Kühlschrank klingt interessant. Aber er meint, er brauche vorerst keine neuen Möbel. Das mit der Pizza hätte er aber schon gehört. Was war das nochmal?

„Pizza? Ach, das ist flacher Teig mit Belag drauf.“

„Was für Belag?“

„Unterschiedlich. Je nachdem, was für eine Pizza.“

„Na, eine normale Pizza eben!“

Außerdem wollte er bei Pizza besonders vorsichtig sein – ein Freund von ihm hätte mal Durchfall gehabt, nachdem er eine Pizza gegessen hätte. Dann will er wissen, welche Pizzen schlecht sind.

„Na keine Ahnung! Was für eine Pizza war das denn?“

„Nur so eine normale.“

„Aus einem Restaurant? Von einem Dönerladen? Eine Fertigpizza aus dem Supermarkt? Ein Marken- oder NoName-Produkt? Vielleicht nur so ein Fertigteig oder eine komplett selbstgemachte?“

„Keine Ahnung. Er hat nur Pizza gesagt.“

Und war das nicht auch Pizza mit diesem Dioxin-Zeugs?

„Nein, das waren Eier. Aber das sind sowieso Ausnahmen, man muss halt auch aufpassen!“

„Wie sehen Dioxine auf Eiern denn aus?“

„Nein, soo einfach ist das nicht. Die stehen ja auch nirgends auf der Zutatenliste …“

„Wer schreibt denn Zutatenlisten?“

„Puh, ja, ähm. Also das ist so …“

Und während man dann gerade über Vor- und Nachteile von Bio-Lebensmitteln diskutiert, fällt unvermittelt die Frage, ob also nicht doch diese Tütensuppen besser wären als Bioessen.

„Es gibt aber auch Bio-Tütensuppen. Oder Konserven.“

In dieser völlig ausweglosen Lage kommt es aber noch schlimmer und irgendwer meckert aus dem Hintergrund, dass Konserven verdammt viel Müll machen und selbst die Gläser nicht einmal Mehrweg wären.

„Mehrweg?“

„Ja, das Pfandsystem erkläre ich ein anderes Mal! Wir waren bei Pizza. Willst Du dir vielleicht eine bestellen für den Anfang? Die sind in der Regel auch besser als die fertigen.“

„Also ist Bestellen besser als Fertigessen?“

„Naja, kommt drauf an. Ist halt auch teuer.“

„Und bei Fertigessen hab ich ja auch keinen Aufwand. Da kann ich meinen Ofen ja verkaufen!“

„Na, nicht unbedingt. Gibt ja auch Fertigessen, dass noch gekocht werden muss …“

„Ehrlich? Sowas ist legal? Das ist doch nicht fertig, wenn man es noch kochen muss!“

Irgendwann steht man dann da und findet keinen Lösungsansatz mehr. Empfiehlt man nun schnelles, günstiges, hochwertiges, ethisch vertretbares oder lange haltbares Essen? Oder welche Kombinationen davon? Soll man die Stiftung Warentest und Analogkäse erwähnen oder verschweigen?

Ist es zu erwarten, dass unser Bauer bereits vor dem ersten Einkauf weiß, ob er eine Payback-Karte haben will, eine bestimmte Ernährungsphilosophie verfolgen und seinen Lieblingsladen gefunden haben wird? Natürlich nicht.

Es ist wahr: wir finden nicht mehr viele dieser Bauern in unseren Breitengraden und doch gibt es sie auf anderem Gebiet. Manche von denen werden in höchste Staatsämter gewählt und rühmen sich damit, dass sie jemanden haben, der für sie einkauft und kocht.

Wozu uns die Lebensmittelindustrie beim Essen gemächliche 150 Jahre über mehrere Generationen Zeit gelassen hat, hat das Internet in der Medien- und Kommunikationswelt binnen weniger als 20 Jahren geschafft: dass Außenstehende nicht mal eben an einem Nachmittag gezeigt bekommen können, was „das alles“ ist und nach welchen Mustern und Logiken es funktioniert. Auch wir Nicht-Bauern, die wir hier selbst bloggen und twittern, einkaufen und über Katzenbilder mit falsch geschriebenen englischen Sätzen lachen, haben eine jahrelange Sozialisation mit langem Eingewöhnungsprozess hinter uns. Arbeit, wenn man so will.

Wenn ich den o.g. Bauern treffen würde, würde ich ihm wohl empfehlen, einfach mal was ausprobieren, was lecker aussieht. Mal einen Freund fragen, was er da gerade genau kocht und ob er ihm ein gutes Restaurant nach seinem Geschmack empfehlen könnte. Ein bisschen Mut und Do-it-yourself-Mentalität wird er aber wohl brauchen. Wenn man Essen kaufen will, muss man mal in den Supermarkt, in ein Delikatessengeschäft und eine Dönerbude gehen. Mal was probieren. Es wird einem nicht alles schmecken, was die Freunde, Kinder und Eltern mögen und man wird mal Dinge wegschmeißen und den Laden wechseln, weil einem was anderes besser gefällt. Es gibt Leute, die mit Tiefkühlpizza glücklich sind, andere gehen zum Italiener. Die Menschen mögen Kekse, leben vegan, kaufen nur im Reformhaus ein, nehmen immer das billigste, pflanzen Kräuter selbst an, essen auf dem Weg zur Arbeit, lieben Kreuzkümmel, essen Diätlebensmittel, backen am liebsten Plätzchen, hassen Broccoli und basteln sich Puppen aus Mett.

Und genau so ist das Internet. Nur mit Pixeln statt Kalorien.

11 Comments

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11 Responses to Ist Instagram besser als Twitter?

  1. mfmfmf

    +1 Internet für dich für dieses schöne Gleichnis.

  2. @mfmfmf:
    Danke! 🙂

  3. Größtartig geschrieben!

  4. @Daniel:
    Danke auch Dir! 🙂
    Freut mich, dass es ankommt. Ich hab auch echt darauf gefiebert, das mal schreiben zu können …

  5. Wahlberliner

    Sehr schöne Analogie! Aber ich möchte sie gerne noch um die verschiedenen Typen erweitern: Da sind diejenigen, die lieber nicht einfach mal so etwas ausprobieren, was man ihnen vorschlägt, bevor ma ihnen nicht sämtliche Informationen dazu gegeben hat, mit samt der „E-Liste“ und allen möglichen Erklärungen. Das sind diejenigen, die zwar langsam lernen, aber wenn sie sich an ein Gebiet dran machen, dann werden sie darin auch langsam aber beständig fit.
    Und dann sind da die, die einfach nur sagen: „Ist mir egal, ich hab hunger, ich will was essen“. Das sind dann die, die sich Bakterien bzw. Viren (…) einfangen, sich den Magen verderben (ihr System zerschießen) und danach dann einen Arzt brauchen, der das Ganze wieder richtet. Meist möchte diese Spezies auch gar nicht lernen, sondern hätte es am liebsten, einfach irgendwas, was eben sicher ist, serviert zu bekommen. Für diese Leute sind dann (leider, leider!) die Produkte aus dem Hause Apple, oder dessen Nachahmer Microsoft am günstigsten, weil da alles strengstens überwacht und kontrolliert ist, was zwar im Grunde die Freiheit total einschränkt, aber viele wollen diese Freiheit gar nicht haben, sondern statt dessen lieber Sicherheit.

    Und damit sind wir wieder bei einem Zitat, was in den letzten Jahren in „Internet-Kreisen“ zu trauriger Berühmtheit gelangt ist, angekommen: „Wer seine Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen gedenkt, hat beides nicht verdient.“

    Zum Thema Microsoft fiele mir zudem auch noch das Zitat mit den Millionen von Fliegen, die sich doch nicht irren können, ein…. 😉

  6. @Wahlberliner:
    Eine vollständige Auflistung kann man hier ohnehin nie erreichen. Das ist ja mit der Witz an der Sache.

  7. Angelina

    Na super, jetzt werde ich den Abend damit verbringen mir alle denkbaren Kombinationen der Lebensmittelbeschaffung und des Lebensmittelkonsums durch den Kopf gehen zu lassen. Unfassbar, dass mir diese Komplexität niemals aufgefallen ist… 😀

  8. @Angelina:
    Ja, das Leben ist eines der kompliziertesten. Fies!

  9. idriel

    Sehr schön beschrieben!

    Aber jetzt habe ich Hunger auf Pizza…. o_O

  10. Keufje

    Herrlicher Text…
    …und mich machen diese „Bauern“ immer etwas aggressiv!

  11. @idriel:
    Hmm, komisch. Kann ich mir nicht erklären. 😉

    @Keufje:
    Danke für die Blumen. 🙂
    Und ich schreibe das ja, damit der ein oder andere Bauer ein Einsehen hat …

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