„Da ihr HbA1C-Wert in der Norm liegt, kann ich ihnen das Trulicity nur auf Privatrezept geben. Hätten Sie das gerne?“
Ja, hätte ich das gerne?
Fangen wir mal mit der für Blogleser neuen Sache an sich an: Ich hab Diabetes. Da kann man jetzt meines Lebenswandels wegen überrascht sein oder nicht. Rausgekommen ist das vor einigen Jahren schon, noch in Berlin, allerdings so lustig zufällig, dass ich das unbedingt auch erzählen muss – da ich es ja bisher nicht getan habe. Ich hatte mich am Zeh verletzt, ernsthaft. Kamen gleich zwei Dinge zusammen, am Ende hatte ich eine Wunde und die hat sich entzündet. Unschön. Noch unschöner war, dass das erste Antibiotikum nicht angeschlagen hat und ich nach einer Woche stetiger Verschlimmerung in der Klinik gelandet bin und mir dort nachts mit 40,1°C Fieber Gedanken darüber gemacht habe, dass es sich eigentlich vergleichsweise angenehm anfühlt, an resistenten Keimen dahinzuscheiden.
Nun, die innergehirnlichen Berichte über mein Ableben stellten sich als verfrüht heraus und mit einem anderen Antibiotikum kam dann alles wieder ins Lot. Einer der Ärzte allerdings – vielleicht ein Genie, vielleicht nur ein Arschloch – hat sich dann vermutlich gedacht:
„Warte mal, ein Fettsack mit einer eine Woche alten Infektion? Na der hat das offensichtlich nicht gemerkt, weil er Diabetes hat und in den Füßen nichts mehr spürt! Zuckertest!“
Ich denke mir das nur zum Teil aus, denn so wurde mir das damals begründet und alle meine Einwände, dass ich vor der Klinik eine Woche in Behandlung war, weil mein Zeh fucking weh tat, haben sie überhört. Aber es war Glück, denn sie hatten recht. Ich konnte dann sogar in eine Fachklinik wechseln und genesen, während ich meine Einführung ins Leben mit Diabetes bekam. Soweit ganz nett. Nett, weil ich Experten um mich hatte und die mich gleich zu Beginn, obwohl eher unüblich, auch mit Trulicity behandelt haben. Gerade in Hinblick auf mein starkes Übergewicht auch mit dem Hinweis, dass das durchaus beim Abnehmen helfen kann. Das ist jetzt nicht die neue Medikamenten-Klasse von Ozempic und co., sondern noch ein GLP-1-Agonist, aber es war damals keine Selbstverständlichkeit.
Ich war ehrlich gesagt sehr überrascht, dass ich ausgerechnet bei dieser Diagnose mal kein „Sie müssten sich halt anstrengen, besser zu essen“ gehört habe. Natürlich, Aufklärung gab es, aber das ist ja der Punkt: Sinnvolle medizinische Hinweise und Fat-Shaming müssen gar nicht miteinander einhergehen. Ich muss das so deutlich sagen, ich kenne ja diese „Dann nehmen sie halt bis Sommer 50 kg ab“-Sprüche und jede Evidenz spricht dafür, dass es keine Willensschwäche ist, wenn man starkes Übergewicht nicht loswird. Da sollte man gerade wenn man es selber geschafft hat den Survivorship-Bias nicht vergessen.
Aber egal, ich war bei mir und ich hab im Laufe der Zeit meinen Blutzucker mit etwas Auf und Ab medikamentös ganz gut unter Kontrolle gehabt. Klar, Luft nach oben gab es immer, aber es war ok und ich war auch zu jedem Zeitpunkt gut überwacht.
Dann habe ich letztes Jahr wieder massiv mit Abnehmen angefangen, ihr habt es ja zum Teil gelesen. Ob das Trulicity dabei eine Rolle gespielt hat, weiß ich nicht. Vermutlich ein bisschen, aber zum Einen hab ich meine Ernährung echt deutlich verbessert, zum Anderen war das Medikament immer mal wieder wochen- bis monatelang nicht verfügbar. Aber naja, wie jeder Arzt bestätigen wird: Egal wo man anfängt: 25 kg Gewichtsverlust wirken sich in der Regel positiv auf einen Diabetes aus. So glücklicherweise auch bei mir. Und beim letzten Test hat mein Arzt schon gemeint, dass aufgrund neuer Regelungen die Krankenkasse das Trulicity nur noch übernehmen wird, wenn mein HbA1c-Wert unter was weiß ich genau fallen wird. Was jetzt eben passiert ist.
Ich schreibe das jetzt, weil ich eben bei der Apotheke war. Der Preis (ca. 300 € für ein Quartal) war keine Überraschung (eher noch, dass es sofort verfügbar war), aber ich hab trotzdem nochmal angefangen, darüber nachzudenken. Ich sehe den gesellschaftlichen Aspekt durchaus: Es ist teuer, meine Werte sind jetzt wieder im Normbereich, also muss die Gemeinschaft jetzt ja nicht dafür aufkommen, dass ich mir fancy Spritzen reindübel. Was mich an der Logik ärgert ist: Die Werte sind ja MIT diesem Medikament besser geworden, es könnte also durchaus so sein, dass sie jetzt ohne wieder schlechter würden und ich jetzt ein Jojo-Spiel anfangen müsste: Aussetzen, bis sie schlecht genug sind, dass ich Trulicity wieder nehmen „darf“, dann werden sie besser und es wird wieder nicht bezahlt. Und das ist in Anbetracht dessen, dass sich bei erhöhten Blutzuckerwerten die Schäden im Körper akkumulieren je länger und öfter man dem ausgesetzt ist, einfach nur vollkommen irre. Für mich, aber auch für alle im Gesundheitssystem, die dann wieder die Folgekosten bezahlen müssten. Dementsprechend zahle ich jetzt erst einmal, aber so wirklich cool finde ich das nicht. Und wie immer sind meine Gedanken da nochmal mehr bei den Leuten, für die 300 € Eigenbeteiligung an der Behandlung finanziell einfach nicht in Frage kommen. Wie bei mir vor 10 Jahren zum Beispiel.
Für mich persönlich kann ich mir aber auch vorstellen, irgendwann vielleicht wirklich auf Ozempic oder so zu wechseln, dann halt vordergründig fürs Gewicht*, ich hätte da ja noch genug übrig, um das zu rechtfertigen. Ich finde halt, dass man Medikamente nicht strategisch planen müssen sollte.
*ist aber wohl auch nicht möglich.