Der Heil-Wikipedia-Mann

So, nachdem die Sache im Laufe des heutigen Tages wohl ausgestanden sein dürfte, meldet auch der Sash sich zur Heil-wikipedia-Mann-Geschichte (oder so ähnlich) zu Wort.
Für alle, die dieses Abenteuer verpasst haben: Am 13. November hat Lutz Heilmann, Abgeordneter der Linken, mit einer einstweiligen Verfügung dafür gesorgt, dass die Seite www.wikipedia.de nicht mehr auf die Inhalte von de.wikipedia.org verlinken darf. Die Begründung ist, dass in seinem Lebenslauf einige Details nicht stimmen, oder er sie nicht gerne dort lesen will. Was genau der Fall ist, weiss ich nicht, die Medien meiner Wahl schweigen aus rechtlichen Gründen beharrlich über die genauen Textpassagen. Ob es jetzt um die Stasi-Vergangenheit Heilmanns oder einem (angeblichen?) Mitwirken an einem Sexshop geht, weiss ich also nicht sicher zu sagen, im Grunde ist mir das auch egal. Die Sexshop-Geschichte finde ich persönlich weniger spannend als die Stasi-Stationen Heilmanns, aber aus der linken Ecke dürfte dem Mann selbst diesbezüglich manchmal ein eisiger Wind umwehen.
Viel interessanter an dieser Geschichte ist, dass Heilmann sich in einen Kampf geschmissen hat, der gleichermaßen wenig nachvollziehbar, als auch hochgradig bekloppt war.
Wenig nachvollziehbar ist er in meinen Augen, weil wikipedia ein grundsätzlich demokratisches Medium ist, bei dem man es sicher bisweilen als einzelner schwer hat, falsche Aussagen zu ändern, ich aber vermute, dass Heilmann als Betroffener selbst mit entsprechenden Gegenbeweisen ein leichtes Spiel gehabt hätte, unwahre Sachverhalte endgültig zu klären.
Hochgradig bekloppt war es zudem, weil eine Sperre der wikipedia.de-Adresse etwa so viele praktische Auswirkungen hat, wie wenn man in Künzelsau ein Tempo-100-Schild aufstellt, um das Rasen auf deutschen Autobahnen zu verhindern. Wie erwähnt: Die Inhalte, an denen sich Heilmann (ich hab mich gerade vertippt, und Heulmann geschrieben) stört, liegen unter de.wikipedia.org. Nicht nur, dass das die meisten Nutzer von wikipedia wissen – nein, es stand auch auf der zum Zeitpunkt der Sperre vorgeschalteten Seite bei wikipedia.de. Natürlich ohne Link 😉
Über Suchmaschinen wie google konnte der entsprechende Eintrag also jederzeit aufgerufen werden, ebenso wie durch die Eingabe de.wikipedia.org statt der .de-Adresse.
Inzwischen sind wohl Passagen aus dem Artikel gelöscht worden, Heilmann bedauert inzwischen seine Verfügung, weil sich die Dinge (Oh Wunder!) zu seinen Ungunsten entwickelten. Die Internet-Welt schrie auf: „Zensur!“ Mit diesem Vorwurf kann man sich als Ex-Stasi-Angehöriger sicher auch im politisch eher lethargischen Deutschland schnell selbst von der Tagesordnung streichen. Dazu überrollte den wikimedia e.V., der die technisch gesehen völlig unbedeutende gesperrte Seite betreibt, eine massive Spendenflut (laut spiegel.de stieg das Aufkommen von ca. 3500€/d auf 16000€/d), teilweise mit der Begründung seitens der Spender , Heilmanns Attacke für ungerecht zu halten.
Da die geschäftliche Weisheit „Any promotion is good promotion“ nur eingeschränkt auf das politische Tagesgeschehen zu übertragen ist, wird Heilmann es inzwischen wohl bedauern, plötzlich einer der bekanntesten Politiker Deutschlands zu sein.
Der Fairness wegen muss man sich natürlich ungeachtet der vielleicht nicht sympathischen Gestalt Heilmanns fragen, inwiefern sein Anliegen („Wahre Tatsachendarstellung“) gerechtfertigt war. Selbstverständlich ist es nicht in Ordnung, wenn Lügen über Menschen verbreitet werden – insbesondere bei einem Portal wie wikipedia, das eine hohe Popularität und auch Glaubwürdigkeit genießt. Genau genommen ist dies für beide Seiten eher schädlich. Die Keule mit der Staatsanwaltschaft muss meines Erachtens nach dennoch nicht gleich als Begrüßungswerkzeug ausgepackt werden. Zumal im Falle der Richtigkeit der Daten der Versuch einer forcierten Manipulation durchaus als Zensur gewertet werden kann.
Ich gewichte den Schutz der Privatsphäre hoch – auch wenn das nicht immer erkennbar ist. Dass aber bei Politikern – ob zu Recht oder zu Unrecht, das sei mal dahingestellt – auch der persönliche Werdegang in eine Wahlentscheidung einfließt, das ist so neu nun auch nicht. Insofern kann man schlecht argumentieren, dass diese Infos irrelevant sind.
Der Ausgang der Geschichte scheint klar zu sein. Im Laufe dieses Tages werden die Anwälte Heilmanns wohl ihre Maßnahmen zurückziehen, alles wird wieder wie früher. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass ich dieses Wochenende gleichermaßen das erste, wie auch das letzte Mal von einem gewissen Lutz Heilmann gehört haben werde, einem Politiker der Linken, der einst bei der Stasi war und vielleicht sogar mit Sexspielzeug Geschäfte gemacht hat. Würde mir nichts ausmachen!

2 Comments

Filed under Medien, Politik

2 Responses to Der Heil-Wikipedia-Mann

  1. ich habe das heute erst mitbekommen… sag mal – gehts noch? sind die nur bekloppt?

  2. Ach komm, je unverfälschter akute Beklopptheitsanfälle auftreten, desto leichter fällt die Diagnose und die Therapie: Nicht wählen!

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