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What remains of Edith Finch

CN / Trigger-Warnung Tod

Ich hab das Spiel, dessen Titel ich jetzt zur Überschrift gemacht habe, schon vor einer ganzen Weile gespielt. Natürlich weil es gute Empfehlungen bekommen hat. Und glücklicherweise ohne Spoiler, denn die hätten mir das Ganze wirklich komplett verdorben. Und da ich einschätze, dass es den meisten so gehen würde, möchte ich hier gerne anmerken, dass ich im Rahmen dieses Eintrages heftigst spoilern werde, allerdings erst nach einer entsprechenden Warnung. Bis dahin kann man also gefahrlos lesen, versprochen!

What remains of Edith Finch ist im Grunde das genaue Gegenteil aller Spiele, die ich sonst gerne spiele. Ich bin ein klassischer Gamer in dem Sinne, dass ich gerne Shooter spiele und dazu auch noch in dem Sinne anspruchsvoll bin, als dass ich gerne ausufernde Open Worlds mag, die so vollgestopft sind, dass ich sie fünfmal wiederspielen kann, dabei 300 Stunden verplempern und mir anschließend in Internetforen und Let’s-Play-Videos zeigen lassen kann, welche Secrets ich noch nicht entdeckt habe, um dann die Durchläufe 6 bis 10 zu starten. Ja, ich bin ein Rockstar-Groupie und unter RDR2, GTA und FarCry bin ich nur so mittel erreichbar. Ich gebe es zu, auch wenn das nicht mein feinster Wesenszug ist.

Was also hält mich dazu an, einen Half-Price-Indie-Titel zu empfehlen, der wirklich bestenfalls drei Stunden Gameplay bietet?

Die Story.

Ja, ich bin ein Looter und Grinder, ein unfassbar penibler noch dazu, aber ich hab auch andere Seiten. Auch wenn (NUR!!!) der erste Teil von Matrix sowas ähnliches wie mein Lieblingsfilm ist, so würde ich trotzdem jedem „Im Juli“ ans Herz legen, obwohl das im Wesentlichen eine deutsche Schnulze ist, aber ich heule halt auch gern mal, wenn’s der Kunst dient.

Ach ja, Kunst! What remains of Edith Finch ist Kunst! Der ein oder andere Literaturkritiker mag da anmerken, dass Goethes Faust noch ein zwei Ebenen tiefer ging, aber wenn der alte Joe-Wolf das in eine interaktive Form hätte gießen sollen, wäre wohl kaum was besseres dabei herausgekommen.

Interaktiv ist ein vergiftetes Wort und man muss an der Stelle anmerken, dass WROEF im Grunde ein Walking-Simulator ist, ein Spiel, das einen sehr linear leitet, nur hier und da zu Aktionen veranlasst und vor allem keine Entscheidungen treffen lässt. Es ist eine Geschichte, die in anderthalb Stunden erzählt wird, der Rest ist der Unsicherheit des Neuspielers geschuldet. Klar, man „erkundet“ dort das Haus seiner Familie, aber im Wesentlichen folgt man sehr durchschaubaren Hints und kann kaum vom Weg abweichen. Und trotzdem stehe ich dazu, dass ich sage, dass das ein fantastisches Spiel ist. Schon alleine, weil die Spielmechanik selten ist und man zudem ständig in vollkommen unterschiedliche Szenarien geworfen wird, die allesamt völlig einzigartig sind. Im Haupt-Game läuft und aktiviert/öffnet man Sachen, aber in den einzelnen Kapiteln ist man jedes Mal überrascht, wann und was man tun muss.

Was nur bedingt schlimm ist, denn man kann – Walking-Simulator FTW – nicht sterben oder sonstwie scheitern. Dennoch muss erwähnt werden, dass das Spiel schon ohne Intro-Menü startet und die Steuerung nicht in einem einzigen Moment erklärt. Ja, sie ist nicht umfangreich, aber man wundert sich oft.

Kurzer Hinweis vor dem Spoiler-Block:

Das Spiel ist zweifelsohne intensiver, wenn man bereits eigene Erfahrungen mit dem Tod in seinem Umfeld gemacht hat.

Und man muss akzeptieren, dass im Rahmen des Spiels nicht immer alles zu 100% physikalisch korrekt abläuft und hier und da Interpretationsspielräume gegeben werden. Aber hey, ich bin Hardcore-Skeptiker und unfassbar verärgert von esoterischem Bullshit, aber ich denke, wenn man sich darauf einlassen kann, ein Mystery-Märchen zu spielen, geht es. Sowas krass hartes wie Homöopathen oder Impfgegner kommt nicht vor, es geht nur so ein bisschen um einen Fluch und ein paar Fragezeichen.

Jetzt aber: SPOILER!

SPOILER!

Wirklich: LEST NICHT WEITER, WENN IHR ES NOCH NICHT GESPIELT HABT!

Hart kicken kann einen das Spiel, weil man im Grund von Tod zu Tod in der eigenen Familie springt und diesen sogar teilweise aktiv herbeiführen muss. Ich hab mehrfach heulen müssen während des Spiels, zum Beispiel als ich das kleine Baby ertrinken lassen musste, während mein zweijähriger Sohn Mittagsschlaf gemacht hat. Aber nicht falsch verstehen: Das ist für Erwachsene zwar ein mitunter sehr brutales Spiel, aber man kann es getrost neben seinen Kindern spielen. Es gibt keinerlei Gewaltdarstellungen, es ist nur psychisch anspruchsvoll für Menschen, denen das Thema Tod bereits ein Begriff ist, es wird nichts explizit gezeigt, das Spiel ist da sehr respektvoll.

Und nicht nur das. Es ist fucking awesome! Tatsächlich fällt mir kaum irgendwas aus dem Bereich „Unterhaltung“ ein, das so unfassbar liebevoll mit dem Thema Tod umgeht, wie dieses Spiel, so unfassbar traurig es auch in Teilen daherkommt.

Ich würde mich hier gerne in Details verlieren wie dem unfuckingfassbar geilen Grabstein von Walter, der Frage, was Molly nun wirklich getötet hat oder einer philosophischen Abhandlung über das Gameplay bei Lewis‘ Abdriften in eine andere Welt.

Schließen möchte ich stattdessen mit dem Hinweis darauf, dass ich 20€ für 3 Stunden Spielerlebnis bezahlt habe und unmittelbar nach dem Spielen überlegt habe, ob ich den Entwicklern nicht einfach noch ein paar Euro mehr in den Hut werfen sollte.

Ich bin ehrlich, ich habe es nicht gemacht. Aber mit jedem Let’s-Play-Video, das ich sehe, fühle ich mich deswegen unwohler. Giant Sparrow muss ein Hornissennest guter Leute sein und es ist keine Frage, dass da eigentlich mehr Geld hinfließen sollte als in die Triple-A-Spiele, für die ich bisher mehr gezahlt habe.

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