Grenzenloses Staunen

Wir sind mal sowas von am Arsch. Dass der neue Pächter auf dem Gartengrundstück meiner Oma eine private Kantine betreibt, ärgert mich. Die Suche nach diesen drei einbetonierten Dingern in dem mindestens hundertstöckigen Hochhaus mit seinen tausend Fallen ist anstrengend. Aber wirklich schlimm ist, dass es wehtut, sich gegenseitig in die Augen zu sehen. Nein, nicht psychisch! Es frisst sich in einen rein, man löst sich langsam auf – wer weiß, was das jetzt soll. Meinen besten Kumpel hat es schon erwischt, der Rest von uns starrt panisch in der Gegend rum, möglichst niemand anders mit seinen Blicken streifend. Eigentlich bin ich bereit aufzugeben und vielleich wäre es ja wirklich das Beste. Ich meine, wie soll man aus dieser Situation auch wieder rauskommen? Ein wenig mitleidig nehme ich den Typen ins Visier, den ich die Tage erst kennengelernt habe, er fängt an zu qualmen. Da – wie aus dem Nichts – durchzuckt mich ein bekanntes Gefühl vom Fuß aus und schlagartig hab ich ein mildtätiges Grinsen im Gesicht. Ich kann es sehen, von außerhalb.

Ich denke mal, ich bin sowas wie ein Radikal-Phlegmatiker. Wenn das Setting stimmt, finde ich auch Alpträume irgendwie ok.

Es ist nicht so, dass ich in Erwartung des sicheren Todes irgendwie ruhig geblieben wäre, aber seit mein Fuß von der Matratze gerutscht ist und mein großer Zeh den Fußboden berührt hat – was mein Bein zum Zucken animierte – ist mir bewusst, dass ich träume. In der Folge kann ich sogar damit leben, dass gute Freunde pulverisiert werden oder ich ungefähr aus einem Kilometer Höhe in den Swimmingpool des Hochhauses springe. Ich kann ja gleich aufwachen, alles kein Thema!

Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man im Laufe der Zeit immer weniger träumt. Hmm. Dann vergeht meine Zeit vielleicht nicht ordnungsgemäß. Ich kann mich fast jeden Morgen an irgendwelche Träume erinnern, die meisten sind sogar ein bisschen weniger fies als der heutige. Erst letzte Woche hab ich mich z.B. neu verliebt. Gut, in Anbetracht der Tatsache, dass ich im wirklichen Leben verheiratet bin, könnte man das auch als Alptraum sehen – aber ich kann euch sagen, dass es nur halb so wild ist, als sich im Traum neu zu verlieben und auch dort verheiratet zu sein. 😉

Manche Menschen haben Angst vor ihren Träumen, die Konfrontation mit Unterbewusstem ist natürlich auch nicht immer das Beste, was einem morgens nach dem Weckerklingeln passieren kann. Ich persönlich wache zwar auch das ein oder andere Mal schweißgebadet auf, aber die Zeit kindlicher Naivität ist dann auch vorbei. Wenn ich in meinem Bettchen aufwache, war das mit dem Weltuntergang offensichtlich nur ein Traum. Und wenn nicht: ein Weltuntergang, der mein Bettchen verschont, kann auch auf die leichte Schulter genommen werden. Ausnahmen bestätigen die Regel (ist echt bitter, zu glauben, man hätte letzte Nacht die Freundin betrogen), ansonsten: Radikal-Phlegmatik und grenzenloses Staunen. Das ist das Beste!

Zum Niederschreiben fehlen mir selbst wie den meisten Menschen leider binnen Minuten zu viele Details. Auf der anderen Seite habe ich festgestellt, dass sich selbst die konfusesten Träume recht schnell auf irgendwelche Alltagserlebnisse zurückführen lassen. Und wer sich wundert, was in seinem Alltag angeblich passieren soll, der sollte die scheinbar nur so vor sich hingeschauten Filme, die überflogenen Texte und dergleichen mal in seine Überlegungen miteinbeziehen. Meine im Traum brutzelnden Mitmenschen heute Nacht wiesen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Protagonisten des Films „The Way back“ bei ihrer Wanderung durch die Wüste auf, den ich vor zwei Tagen gesehen hatte. Dazu eine Assoziation mit einem flüchtigen Blickkontakt auf der Straße … ich sage ja: grenzenloses Staunen.

Ich habe noch nie gehört, dass Träume etwas schlechtes seien. Also zumindest nicht im Bett. Hinterm Steuer mag das anders aussehen, aber davon bin ich bislang verschont geblieben. Und so lange mir mein Fuß rechtzeitig Rückmeldung gibt, wo die Realität ist (alleine dieses wunderbare Gefühl hat mich dazu veranlasst, jetzt direkt nach dem Aufstehen diesen Text zu schreiben), belasse ich es wohl dabei, mich zu freuen über dieses Phänomen. Oder es in schlimmen Fällen radikal-phlegmatisch hinzunehmen. Und nach intensiven Nächten wie der heutigen gehe ich dann raus, schaue mir die Welt an, die Menschen, die Kunst.

Ich kann gar nicht so viel sehen, wie ich träumen möchte …

2 Comments

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2 Responses to Grenzenloses Staunen

  1. Wahlberliner

    Träume, vor allem Alpträume, sind immer sehr angenehm. Nicht unbedingt, wenn man noch drin steckt, aber ab dem Moment, wenn man aufgewacht und wieder in der normalen Wach-Realität ist. Sie hinterlassen da dann ein Gefühl, in das man sich noch mal so richtig schön hineinfühlen kann, und das empfinde ich persönlich als die hilfreichste Psychotherapie, die ich bekommen kann. Das Unterbewusstsein weiß meist schon ziemlich genau, was die Psyche braucht, um sich zu heilen – und so, wie eine Wunde auch von selbst heilt, wenn sie nicht zu tief ist/mit zuviel Blutverlust einher geht, so sind solche Träume eben die psychischen Selbstheilungskräfte, die während der Regenerationsphase im Schlaf am Werk sind.
    Die schönen Träume hingegen, das ist dann, wenn die Psyche einfach mal ne Pause braucht – letztlich dasselbe, nur in grün (oder blau…)

  2. @Wahlberliner:
    Du sprichst mir aus der Seele! Nach einem Alptraum (halb) erwachen ist dermaßen genial, das kann man gar nicht in Worte fassen!

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