Verkaufsoffene Demokratie

Ich war ja geradezu schockiert, als ich vorhin mit Ozie beim Abstimmen für den Volksentscheid zum Gesetzentwurf über die Berliner Wasserverträge an unserem Wahllokal angekommen bin. Ich musste noch niemals anstehen, um einen Stimmzettel abzugeben!

Das wiederum lag wahrscheinlich auch daran, dass wir dank krankheitsbedingt umgestaltetem Schlafrhytmus zu einer für uns eher untypischen Uhrzeit dort waren. Mit einiger Skepsis würde ich nämlich behaupten, dass zu dieser Abstimmung ohnehin fast nur Befürworter gehen, und ich in unserer Umgebung die größte Chance für ein 50%-Ergebnis der Antwort „JA“ dort vermute, wo nach der chemischen Formel von Wasser gefragt wird. Aber man darf gespannt sein. Der Berliner Senat hat sich ja mal wieder nicht mit Ruhm bekleckert im Vorfeld, aber das mag auch deswegen meine Meinung sein, weil ich meist auf der anderen Seite stehe 😉

Aber wenn man sich mal durchliest, was B like Berlin über die seriösen Werbemethoden schreibt…

Ich bin jedenfalls vor allem mal gespannt wegen der Wahlbeteiligung. Ich hab meine Zweifel, dass sie ausreicht, aber ich hoffe natürlich. Vielleicht ist es von Vorteil, dass heute mal wieder verkaufsoffener Sonntag ist, und die Leute sozusagen auf die Straße gehen müssen. Jawohl: Müssen! Wann sonst gibt es bei Netto schließlich 10% auf alles?

Das Peinliche ist, dass ich eben selbst noch kurz drüben war, um die Getränkevorräte aufzustocken. Da geht es wirklich zu wie in einem durchschnittlichen Ameisenhaufen. Ganze Großfamilien scheinen ihren Ausflugstag zu nutzen, um im Discounter endlich mal wieder eine ganze Palette Vollmilch kaufen zu können. Daneben trudelt eine Kompanie Hardcore-Alkis durchs Getränkelager im Wissen, heute pro Bierflasche zackige 5 Cent zu sparen. Abgerundet wird der Irrsinn, der sich sonst wenigstens auf 6 Wochentage verteilt, durch die Rentner, die offenbar doch auch nachmittags wach sind, und auf armlangen Einkaufszettel jede einzelne Pralinenschachtel vermerkt haben, die sie an ihre Großfamilie aus Alkis und Vollmilchmüttern in der nächsten Dekade zu verschenken gedenkt. Zwischen den ganzen Großeinkäufern wirken die Sammler von homöopathischen Mengen an Biokäse doch recht verloren, kämpfen an der Kasse aber doch recht verbissen um einzelne Positionen und behaupten sich dank ihrer wesentlich leichteren Einkaufswagen beim Kolonnenhopping umso mehr.

War da wirklich wer abstimmen? Und wenn ja: Macht das was aus. Ich bin irgendwie verstört gerade. Vielleicht hätte ich im Bett bleiben sollen.

7 Comments

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7 Responses to Verkaufsoffene Demokratie

  1. Zu den Wasserverträgen kann ich mangels Wissen nicht sagen. Aber schon als quasi frisch aus der Packung gezupfter Maskierter sind mir verkaufsoffene Sonntage übel aufgestoßen. Zumal ich eine Weile selber dann Sonntags hinter einer Ladentheke stand und die Leute taten, als wäre morgen nichts mehr da.

  2. @Der Maskierte:
    Über die Wasserverträge kann ich auch noch nichts sagen. Lustig ist aber, dass unser werter Senat jetzt genau das tun muss. Da liegt der Witz bei der Sache 🙂
    Und das mit den Sonntagen ist wirklich abartig! Und ich bin ein Vertreter liberaler Öffnungszeiten – schon meiner Arbeit wegen. Aber hier in Marzahn ist an jedem verkaufsoffenen Sonntag sowas ähnliches wie Volksfest. Das ist dann doch ein bisschen zu viel der Konsumhuldigung 🙁

  3. Ly

    netto, oder früher Plus, ist bei uns ebenso wenn auch nicht immer so voll wie an Verkaufsoffenen. Find das irgendwie bemerkenswert, weil der Aldi zwei Straßen weiter mitten in Innenstadt nich so iss, und der lidl auch nich, aber der Netto eben.Versteh einer wer will. Aber Sonntags einkaufen gehen iss, ne, will ich nich, nur wenn ich vorher die Hälfe vergessen hätt, Sonntags einkaufen gehen iss wie Weihnachten alle Shops bis 22:00 Uhr offen auf Samstag, und se kommen erst um Acht.

    Volksentscheid: sowas giddet? Bei uns nich! Wir sind zu provinziell 😉

  4. @Ly
    Die Leut kommen immer erst um 20 Uhr, wenn bis 22 Uhr auf ist. Ach ne, nich alle. Ein paar kommen auch noch 5 vor 22 Uhr. Um dann noch schnell mal eben einen Einkaufswagen picke-packe voll zu packen.

  5. @Ly:
    Ach, meine Woche hat sowieso einen anderen Takt, da wundert man sich dann plötzlich, weswegen der Laden auf einmal zu hat. Aber da wir hier alles vor der Haustüre haben, ist es auch so, dass wir bisweilen mehr als einmal täglich einkaufen gehen.
    Gut frequentiert sind die Läden hier auch immer – was beim Kaiser’s los ist, der soweit ich weiss als einziger Laden in einem Kilometer Umkreis (oder mehr?) selbst Samstags bis kurz vor Mitternacht offen hat, kann man sich wahrscheinlich fast denken…
    Und das mit den Volksentscheiden in Berlin ist wenigstens mal ein Schritt in die richtige Richtung. Wobei es eigentlich ernüchternd ist, zu sehen, dass sich gerade mal 27% der Leute aufraffen bei einem Thema, das übersetzt heißen könnte: Straft „die Politiker“ und „die bösen Firmen“ für ihr Gemauschel ab“…

    @ednong:
    Das kommt aber auch darauf an, ob es sich eingespielt hat oder nicht. Hier ist am frühen Abend eher mehr los als nach 20 Uhr. Zumal 2 Stunden vor Ladenschluss jetzt bei einem Supermarkt ja auch nicht so ein wirklich knappes Timing à la „Jetzt noch schnell!“ ist.

  6. Nihilistin

    Mal zurück zum ursprünglichen Thema: Es hat gereicht – daran hat wohl niemand mehr geglaubt.
    Ich glaube, das war das erste erfolgreiche Volksbegehren in Berlin 🙂 Man denkt ja immer: „Ich kann nichts ausrichten – also isses egal ob ich jetzt abstimme oder nicht“. Stümmt nicht. Man kann.

  7. @Nihilistin:
    Ich war auch mehr als skeptisch, und genau deswegen bin ich dann auch hingegangen. Nur jammern ist dann manchmal selbst mir zu billig 😉

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