Monthly Archives: Mai 2013

Nu isses raus!

Raus? Was? Na zumindest mal mein halbes Gebiss. Und dank des unterwürfigen Gewinsels bei den Betäubungsspritzen auch meine Selbstachtung – aber sei’s drum!

In einem Anflug von organisatorischer Super-GAUness hatte ich den Zettel verlegt, auf dem stand, wann mein zweiter Zahnarzttermin zur Entfernung der kaputten 6 Zähne auf der rechten Seite ist. So Pi mal Daumen wusste ich, es war irgendwann am Wochenanfang Mitte Mai. Langzeitstudenten lachen über derart akkurate Planung, ich war das ganze Wochenende ein wenig hibbelig:

„Hab ich den Termin jetzt diese Woche, und vielleicht echt schon am Montag?“

Ich hätte am gestrigen freien Abend nach einem anstrengenden, aber sehr schönen, Wochenende gerne einfach ein paar Bier in den Morgenstunden getrunken und feierlich ausgeschlafen. Stattdessen war da dann ein eher verkrampftes Warten auf 8 Uhr – viel zu spät, ich war müde! – um umgehend beim Zahnarzt anzurufen. Und immerhin: Es war gut so.

„Ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr genau, wann mein Termin bei ihnen war …“

„Um 9 Uhr.“

Gut, dass wir das Internet haben und ich nicht auf Verdacht erst um 9 Uhr zum Telefonhörer griff. 60 Minuten nach meiner Frage etwa setzte der Chirurg mit den Worten „da ist es besonders unangenehm“ die fünfte von sieben (oder waren es neun?) Betäubungsspritzen – ein Vorgang, der in mir die niedersten Instinkte zu wecken vermöchte. Vor einem Jahr noch zahnarztscheu lasse ich mich ja inzwischen beim normalen Bohren grundsätzlich ohne Betäubung behandeln. Das tut zwar auch mal ein bis zwei Minuten lang höllisch weh, aber meine Schmerztoleranz ist eben auf unterschiedlichen Gebieten unterschiedlich ausgeprägt. Und ich ziehe Bohren am offenen Nerv dem Stechen ins Zahnfleisch vor. Klingt irrational, ist für mich aber angenehmer.

(Im Übrigen ist das nicht eine pauschale Angst vor Spritzen. Ich mag sie nicht, ja. Aber nach meinem Beinbruch vor ein paar Jahren hab ich mir selbst welche in den Bauch setzen können und ich kipp auch beim Blutabnehmen nicht um. Im Mund geht halt gar nicht!)

Nachdem das erledigt war, bin ich eigentlich recht entspannt auf den Behandlungsstuhl gekraxelt. Dass der Rest easy werden würde, war mir klar. Im Grunde war ich eher versucht, einzuschlafen als nervös zu werden. Zu meinem Erstaunen fragte mich der Arzt, ob ich weniger rauchen würde, was ich verneinte. Im Gegenteil: Nach der letzten Zigarette vor der Praxis hatte ich mich noch geärgert, dass ich keine Bonbons mehr zum Überdecken hatte. Ich vermute, das hat dann die Tomatensuppe vom letzten Abend erledigt, bzw. die etwa 6 Zehen Knoblauch darin.
Ganz schmerzfrei ging der eigentliche Teil des Spektakels dieses Mal nicht vonstatten – obwohl selbst meine Nase zur Hälfte taub war – am Ende stand ich aber trotzdem nach kaum 45 Minuten im Gang und hab auf die Frage, ob es mir gut ginge, eloquent geantwortet, dass das zwar der Fall sei, mir aber just das Sprechen über diesen Umstand in Anbetracht von Schwellungen, Betäubung und Tupfern im Mund ein bisschen schwerfallen würde. Ich glaube, meine Wortgewandtheit wird von Ärzten wesentlich weniger geschätzt als von der Durchschnittsbevölkerung.

Die letzten 10 Stunden waren hart. Mal abgesehen von den psychischen Problemen, die das Essensverbot nach Zahnarztbesuchen jedes Mal bei mir auslöst, hatte ich mit der Zeit wirklich wirklich schlimme Schmerzen. Warum sie dort in der Praxis nicht einmal Rezepte für Ibuprofen 800 ausstellen, hab ich noch nicht rausgefunden. Die 400er, die sie stattdessen verschreiben (obgleich rezeptfrei billiger zu bekommen), nehme ich bei leichten Kopfschmerzen. Nach zweien davon konnte ich wenigstens schlafen.

Gut, jetzt bin ich wieder mehr oder weniger wach – vor allem aber (nach noch einer Tablette) schmerzfrei. Damit sollte ich das Wildeste hinter mir haben, ab jetzt geht es bergauf. Ein oder zwei kleinere Bohrereien an einem anderen Zahn werden nächsten Monat noch folgen, dann ist der unangenehme Marathon mit den Beisserchen wohl erst einmal vorbei für mich. Dann geht es noch an den Ersatz für das, was heute unter großem Knirschen aus meinem Kiefer entfernt wurde. Ich vermute, das wird halb so wild.

Und meine Uhr sagt mir gerade, dass es jetzt Kartoffelpüree gibt. Und das wird auch Zeit. Eigentlich wollte ich ja heute morgen vor dem Schlafengehen, vor 12 Stunden, noch kochen.

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Fünf Minuten

Fünf Minuten ist immerhin die Hälfte der Zeit, die Edmund Stoiber ungefähr braucht, um in einen Hauptbahnhof einzusteigen. Man kann die Zeit auch brauchen, um zum Beispiel, sagen wir … eine Bifi einzukaufen.

Begonnen hat alles mit einem schönen Herrentagseinkauf eines mir nicht näher bekannten jungen Mannes. Er stapelte ziemlich genau 10 Liter Bier, etwas Schnaps und Grillkohle aufs Band hier im Kaiser’s. Ein Einkauf, wie man ihn nur tätigen kann, wenn man seine Finanzen strikt im Griff hat. Seine Freundin legte deswegen ihren Einkauf – besagte Bifi – pflichtschuldigst gesondert aufs Band.

Der Kassierer nannte den Preis, es waren 1,39 €. War ja keine normale Bifi, sondern irgendeine von diesen Super-XXL-Rolls. Kann man sich ja mal rauslassen, der Freund würde bestimmt nicht mehr zur Nahrungsbeschaffung taugen in den nächsten 24 Stunden.

Statt nun kurz die offene Rechnung zu begleichen, rief die junge Dame „Oh!“, um daraufhin – tolle Wurst! – mit dem erbeuteten Snack wieder in den Tiefen des Ladens zu verschwinden. Sie ignorierte das Rufen ihres Begleiters („Hey, ich kann Dir auch …“) und war schneller außer Sichtweite als wir alle gucken konnten.

Der Kassierer blickte ratlos seinen letzten Kunden (den Freund) und seinen nächsten Kunden (mich) an und murmelte:

„Wenn ich jetzt wüsste, was genau sie vorhat, könnte ich ja schon einen Storno ausrufen, aber – was macht sie jetzt?“

Der Freund zuckte mit den Schultern:

„Keine Ahnung!“

Ich tat es ihm nach. Hätte sonst vermutlich auch unangenehme Fragen aufgeworfen.

Der Angestellte nahm das mit einem Stirnrunzeln locker und hat den Leuten hinter mir gleich verkündet, dass nebenan auch noch eine Kasse offen sei, ihm sei gerade die Kundin weggerannt. Verwunderung, Tütenrascheln, alles friedlich. Nach anderthalb Minuten unruhiger Stille tauchte Madame auch wieder auf und stellte sich nun mit einer neuen Bifi – dieses Mal das preisreduzierte Normalmodell – hinten an die trotzdem langsam anwachsende Schlange an. Ihr wurde bedeutet, gleich vorzugehen, der Kassierer rief daraufhin einem Kollegen zu, er möge mal bitte einen Storno ausrufen und so verging weitere Zeit mit dem Warten auf den Stornierungsbeauftragten.

5 Minuten, alleine um eine Bifi zu bezahlen. Slow Food fängt im Laden an.

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Urlaub im Alltag

Es ist jetzt 4:00 Uhr morgens und ich hatte gerade Lust darauf, mir beim Döner ein paar Bier zu holen. Hab ich dann auch gemacht. Schön, dass der Laden immer offen hat und dass die Mitarbeiter dort zu Stammgästen außerordentlich freundlich sind.

(Wobei ich eigentlich nur noch sehr selten dort vorbeischaue, um mehr als eine Schachtel Zigaretten zu kaufen.)

Die Temperaturen gehen langsam ins Frühlingshafte, mehr als ein dünnes kurzärmeliges Hemd musste ich nicht anziehen. Also gut, Hose und Schuhe natürlich auch – aber Ihr wisst, was ich meine.
Als ich so auf die Baumgruppe zulaufe, die uns hier von Kaiser’s und Konsorten trennt, streift mich ein wohliger Schauer. Für manch einen mögen die Bäume hier in der Dunkelheit bedrohlich emporragen, ich mag sie. Aber nicht einmal, weil es Bäume sind. Der Parkplatz, der Weg zwischen den Bäumen durch – auch die geschlossenen Türen der Supermärkte, die ich tagtäglich besuche: All das hat sich auch nach fünf Jahren in dieser Gegend für mich noch nicht gänzlich als Heimat etabliert. Vielleicht ist das der Tatsache geschuldet, dass meine Heimat wohl auf ewig Stuttgart sein wird, wer weiß.

Gelegentlich spüre ich jedenfalls dieses leichte Kribbeln im Nacken, dieses Gefühl, mit jedem Schritt Neuland zu betreten, das zu entdecken sich lohnt. Vor meinem inneren Auge Bilder der doch recht zahlreichen Ferienwohnungen und -Häuser, die ich im Laufe meiner Kindheit gesehen habe, Erinnerungen an fremde Straßen, zu erkundende Dachböden und ungewohnte Häusersilhouetten am Horizont. Ironischerweise gepaart mit dem dumpfen Sicherheitsgefühl im Hintergrund, in vertrauter Umgebung zu sein.

Der Gegend hier in Marzahn wird viel nachgesagt, niemals jedoch, dass sie schön sei. Mit gewisser Berechtigung. Das Haus, in dem ich wohne, ist gut und gern 200 Meter lang und zwischen 20 und 40 Meter hoch. Ein zierliches Gebäude hier in der Umgebung. Frisch hier eingezogen fremdelte ich wie jeder Neue mit diesen Gegebenheiten, Plattenbausiedlungen kannte ich eben überwiegend als Ghetto, als Symbol für Tristesse.

Tatsächlich jedoch gibt es Orte, die ich wesentlich furchtbarer finde. Meine – obwohl damals heißgeliebte – Grundschule präsentiert sich in grauerem Grau als die Gegend hier, bedrückenderweise garniert mit der in meinen Augen unsagbar hässlichen abstrakten Kunst der 1970er-Jahre. Eine Bekannte wohnte vor Jahren in einer ehemaligen Kaserne, hübsch hergerichtet nach dem Abzug der Amerikaner. Eigentlich. Kam mir aber immer viel fremder vor als die hier stehenden Wohnsilos der überpragmatischen DDR-Architekten. Zu guter Letzt sei auch noch die ehemalige Bude eines ehemaligen Mitbewohners genannt. Hier in Berlin, in Kreuzberg. Bergmannkiez, angesagte Gegend. „Schöne“ Altbauten, Haus an Haus, hohe Decken und Stuck, verzierte Fassaden, Kopfsteinpflaster auf der Straße. Gemeinhin als nett, gemütlich und pittoresk empfunden, ekeln mich diese durchgehenden Häuserfronten ohne Grün und dieser pseudoaltbackene Flair regelrecht an. Wie die meisten wohl über Marzahn urteilen würden: Dort bekomme ich Depressionen binnen kürzester Verweildauer.

Ich kann froh sein über meinen Geschmack. Dadurch, dass er nicht dem der Mehrheit entspricht, sind die Mieten hier noch bezahlbar, bleibt der große Trubel aus und ich treffe keinen einzigen Menschen, wenn ich mal nachts um 4:00 Uhr auf die Idee komme, mir ein paar Bier zu holen.

Es ist nicht immer leicht, einen anderen Geschmack zu haben als die Mehrheit, insbesondere in Bereichen, in denen man keinen Bock hat, ständig kämpferisch für seinen Standpunkt zu werben. Bei der Auswahl der Wohngegend entpuppt sich das bei mir als großer Vorteil. Deswegen möchte ich Marzahn eigentlich auch niemandem empfehlen. Auch wenn es sich hier manchmal anfühlt wie Urlaub.

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