Wie so oft ist Wagners Kolumne am heutigen Tage ein Zeugnis moderner Kunst. Das ist recht wörtlich gemeint, denn modern ist es dieses Mal besonders: Wagner erzählt, dass die Jugend heute schlimmer ist als früher. Kunst ist es in meinen Augen deswegen, weil unter Kunst so schön subsummiert werden kann, was sonst in keine Schublade passt. Was bei Wagner ja irgendwie der Fall ist.
„Liebe schlimme Mädchen und böse Jungs,“,
so leitet er dieses Mal seine Kolumne ein, und gerichtet sind diese Worte offenbar an junge Gewaltverbrecher. Natürlich nur zu Beginn. Am Ende wird er wie üblich an den Leser schreiben. Diese Unkoordiniertheit scheint ja gewissermaßen System zu haben bei ihm.
„ihr seid zwischen 14 und 18, und in der aktuellen Kriminalstatistik kommt ihr ganz schlecht weg. Während die Gesamtkriminalität in Deutschland zurückgeht, nimmt die Gewaltbereitschaft bei euch zu – um 4,9 Prozent.“
Das ist beinahe korrekt. Offenbar hat man bei Bild die aktuelle PKS recht gründlich studiert, denn diese Zahl findet sich in keiner Übersicht der Publikation, sondern erst auf Seite 11. Wenngleich die Polizei in diesem Zusammenhang auch von der Gewaltbereitschaft spricht, so möchte ich doch anmerken, dass ein Anstieg der von Jugendlichen verübten (und natürlich bekannt gewordenen) Gewaltdelikte stattgefunden hat, jedoch bei einer reduzierten Anzahl an Tatverdächtigen (-0,4%). Ich will nicht kleinlich sein, aber bei Wagner liest es sich eben auch so, als wären 4,9% mehr Jugendliche gewaltbereit, und das ergibt sich zumindest aus dieser Statistik nicht.
„Auch bei Mädchen. Als ich 14 war, hatten Mädchen Zahnspangen. Um ihr Gebiss zu vervollkommnen, ihr Lächeln zu verschönern.Heute haben sie einen ausgeschlagenen Schneidezahn.“
Ich denke, es wird jedem klar sein, dass sich das nicht aus der aktuellen Kriminalstatistik ergibt, und ich habe leider auf die Schnelle keine Statistik zu ausgeschlagenen Schneidezähnen oder Zahnspangen gefunden. Schon gar nicht für das Jahr 1957, in dem Wagner 14 wurde.
„Was machte ich mit 14, 18 mit meinen Händen? Ich ballte sie nicht zur Faust. Ich hielt Händchen, machte Millimeter für Millimeter Petting, zählte mein erstes Geld, das ich als Schüler im Supermarkt verdiente. Ich streichelte mit meinen Händen meinen Motorroller. Gewalt zählte nicht zu den Problemen, die ich als 18-jähriger hatte.“
Das ist schön für Herrn Wagner. Ehrlich. Ich möchte Jugendgewalt nicht verharmlosen oder nur auf einen sozialen Faktor minimieren, aber ich hab so die Vermutung, dass die Statistik anders aussehen würde, wenn all diese Jugendlichen eine Freundin, einen Job und zumindest Geld für einen Motorroller hätten. Was ich sagen will: Die Umstände waren 1957 vielleicht ein bisschen anders.
„In der Kriminalstatistik wird die Gewalt der Jugendlichen hervorgehoben. Sie schlagen um sich, sie treten Menschen ins Gesicht.“
Das mag alles sein, aber es ist nicht so, dass das andere Altersgruppen (nehmen wir Säuglinge mal davon aus) das nicht auch machen würden. So erschreckend die Zahlen bei Jugendlichen auch sein mögen. Leider kann ich in der Statistik keine genaue Angabe zur Altersverteilung bei Gewaltdelikten speziell finden, aber bei der alle Delikte umfassenden Anzahl der Tatverdächtigen finden sich unter den über zwei Millionen Verdächtigen etwa 277.000 Jugendliche. Man muss also auch hier richtig aus der Statistik lesen können: Wenn man einen Jugendlichen sieht, besteht zwar eine höhere Chance, dass er ungutes im Schilde führt, aber das Gesamtrisiko spricht eher dafür, dass mir ein Erwachsener etwas auf die Nuss gibt. So ist das mit Statistiken, die man nicht selber gefälscht hat 😉
„Ihr seid nicht mehr jung, wie ich es früher war. Ihr seid fremd. Ich verstehe euch nicht.“
Das ist wahrscheinlich eine grundsätzliche Generationenfrage. Frag mich mal jemand, ob ich Wagner verstehe…
„Ihr seid wie ein Vorbeben, kleine Steine bröckeln.“
Eine schöne Metapher, Herr Wagner. Aber… wofür?
„Aber wir müssen euch retten. Ihr dürft euch nicht die Köpfe blutig schlagen. Ihr seid unsere Kinder.“
Abgesehen davon: Das steht so ähnlich auch in einem Haufen ziemlich trocken geschriebener Schinken, die sich Gesetzesbücher nennen. Herr Wagner wäre überrascht, was noch so alles verboten ist. Zum Beispiel eine Verletzung der Privatsphäre. Oder Beleidigungen. Er könnte also auch bei Nicht-Jugendlichen, bei Kollegen und Vorgesetzten, vielleicht sogar bei sich selbst, fündig werden.
Dann folgt noch das obligatorsche „Herzlichst, Ihr Franz Josef Wagner“, das in diesem Fall eine grammatikalische Abnormität darstellt, die sich so wohl nur bei Wagner finden lässt. Ich denke, das reicht erst einmal zum Thema.