Der eintausendste Senf zu Böhmermann

Die Berichterstattung über die „Causa Böhmermann“ gehört irgendwie zu den ernüchterndsten Dingen der letzten Wochen. Also mal abgesehen davon, dass die Existenz des ausgegrabenen Paragraphen 103 StGB auf mich als Laien etwas verstörend wirkt – was da landauf und landab betont wird, wie schlimm doch diese oder jene Passage von Böhmermanns Gedicht sei … ich kann nur hoffen, er hat da eine gehörige Freude dran. Ob nun wirklich ein Verfahren ins Haus steht und ob eine Strafe verhängt wird, sei mal dahingestellt. Was ich so verstörend finde, ist dieses Aufzählen von Schimpfwörtern mit dem Hinweis, dass das ja so nun wirklich ein bisschen zu weit geht.

Ähm.

Ich habe bei ganz ganz vielen Artikeln und Anmerkungen zu dem Thema das Gefühl, die entsprechenden Oberempörer haben bis auf eine ausgedruckte Version des Gedichtes keine Ahnung, worüber sie da berichten. Dass das Gedicht in dieser Form nicht zulässig ist, hat nämlich zuallererst einer festgestellt: Jan Böhmermann. Während man vielfach liest, er habe einfach der Extra3-Satire der Vorwoche nochmal in eklig gemacht und billig mit Obszönitäten übertrumpfen wollen,  verkennt das den Kern der Sache doch ziemlich.

Denn was Böhmermann in erster Linie gemacht hat, war den Kollegen von Extra3 den Rücken zu stärken. Er hat sich hingestellt und Erdogan erklärt, dass er sowas auszuhalten habe und dass der Eingriff in Kunst- und Meinungsfreiheit erst wesentlich weiter weg denkbar wird. Und beispielhaft hat er seine Schmähkritik vorgetragen. Schon alleine der Name Schmähkritik ist doch Programm: Das ist vereinfacht gesagt genau der Ausnahmefall, in dem Satire nicht mehr als Satire durchgeht, sondern als Beleidigung strafbar wird.

Das Witzige ist: Genau damit hat Böhmermann erschreckend gute Satire gemacht. Also nicht mit ein paar Worten über sexuelle Vorlieben von Erdogan – sondern damit, dass er den Fall von Extra3 genommen hat, dessen Harmlosigkeit durch seine eigene Schmähkritik ins Absurde geführt hat – und auf der anderen Seite auch durch die völlig zweckentleerten Beleidigungen sehr ironisch damit gespielt, dass Erdogan ihn mal am Arsch lecken kann.

Der jetztige Prozess kommt sicher nicht komplett unerwartet. Es war ja schon Teil der Sendung, dass er sich die Problematik seiner Aussagen hat bestätigen lassen.

Darüber, ob es jetzt wirklich nötig war, derart viele Register zu ziehen, und eine so offensichtlich dumme Nicht-Satire wie jene „Schmähkritik“ aufzuführen, lässt sich natürlich streiten. Aber zunächst gilt es mal festzustellen, dass Jan Böhmermann nicht einfach hingegangen ist und gesagt hat:

„Ey hört mal zu, der Erdogan fickt Ziegen!“,

sondern eher:

„Natürlich darf man Erdogan seinen protzigen Palast vorwerfen, strafbar wird’s erst, wenn man folgendes sagt: Erdogan fickt Ziegen!“

Und auch wenn er den letzten Teil in Form eines längeren Gedichts getan hat: Ich finde, diese beiden Aussagen sind grundverschieden. Dass Böhmermann auch durch die extrem drastischen Worte provozieren wollte, ist sicher Teil des ganzen Spiels, schon klar. Anstatt aber jetzt wie Grundschüler über blöde Witzchen zu lachen oder wie deren Eltern besorgt zu sein, könnte man auch mal bewundernd zur Kenntnis nehmen, dass Böhmermann mit der Aktion EXAKT gehalten hat, was er so ziemlich von Anfang an versprochen hat: Er hat uns die Grenzen der Satire aufgezeigt.

4 Comments

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4 Responses to Der eintausendste Senf zu Böhmermann

  1. ich glaube nicht, dass böhmi da noch spaß dran hat; er hat anne will und sogar seine eigene radiosendung abgesagt. ich kanns voll verstehen, dass er bei der ganzen scheiße auf tauchstation geht. er hat das sicher vorher juristisch prüfen lassen, aber dass das jetzt so hochkocht, hat ihn sicher auch überrollt. ich hoffe echt, dass es glimpflich für ihn ausgeht. im fernsehen ist er immer der freche strahlemann, aber bei sanft&sorgfältig und seinen persönlichen messages bei fb/yt merkt man, dass der private jan viel deeper und verletzlicher ist, als es den anschein hat.

  2. @Mausflaus:
    Ich bin jetzt zugegeben nicht der allergrößte Fan und hab alles gesehen, was er gemacht hat, aber ich bin mit solchen Aussagen vorsichtiger, weil er so gerne auf der Meta-Meta-Ebene spielt, dass ich eine Wendung in der Sache immer noch nicht ausschließen könnte.
    Aber ich stimme insofern zu, als dass das im Grunde für jeden eine belastende Situation sein müsste und ich mir das entsprechend auch bei Böhmermann vorstellen kann. Und in die ist er meiner Meinung nach ungerechtfertigt geraten und da wünsche ich natürlich in seine Richtung alles erdenklich gute.

  3. dazu kommt jetzt auch noch die bedrohung durch erdogan-anhänger: http://www.focus.de/kultur/kino_tv/akut-durch-anhaenger-erdogans-gefaehrdet-jan-boehmermann-steht-unter-polizeischutz_id_5430916.html

    das ist so krass. seine familie hat er immer besonders geschützt, nie mehr offenbart, als dass er kinder im kleinkindalter hat; ich glaub das muss der horror sein, wenn auch noch die familie bedroht ist.

  4. Das ist gar nicht so ungewöhnlich mit diesem Paragraphen. Es gibt so einiges im deutschen Gesetzwerk das noch aus der Kaiserzeit Anno 18xx stammt, das einfach immer wieder durch alle politischen Systeme hindurch übernommen wurde und sich nie geändert hat.

    Siehe hier: http://www.gruenderszene.de/allgemein/alte-gesetze-digitale-startups

    Der Abschnitt über die Partnerbörse ist absurd, über UBER kann man diskutieren, das gebe Ich zu.

    Grüße aus Dresden

    Philipp

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