Wenn Kunst das Leben zerstört

Ich habe in den letzten Tagen bestürzt mitverfolgt, wie die Stadt Palmyra in Syrien vom IS attackiert wurde. Ich war nie in Palmyra, ich kenne dort niemanden und ehrlich gesagt habe ich vor den Meldungen über das Vorrücken des IS Palmyra nicht einmal gekannt. Wie das halt so ist in einer für einzelne Menschen doch sehr großen und unüberschaubaren Welt. Ebenso ist Palmyra natürlich ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um den IS anzugehen, schließlich hat diese Terrororganisation schon viele Menschenleben gefordert, was natürlich in keiner Relation zu eventuell zerstörten Ruinen steht.

Andererseits finde ich das Vorgehen des IS gegen Kunst und Kultur als sehr bezeichnend für ekelerregende Weltanschauungen, auch wenn da einzelne Akte des Vandalismus natürlich im Prinzip hinter Tötungen von Menschen zurückstehen müssten.

Aber man muss leider sagen, dass das Töten von Menschen weltweit leider eine gewisse Normalität ist. Abgesehen von der recht bescheidenen Kriminalität in sicheren Staaten wie unserem ist das Töten unliebsamer Gegner im Krieg gang und gäbe. So erschreckend es auch sein mag, es ist ein relativ vertrautes Motiv, Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer politischen Überzeugung umzubringen. Ganz einfach, weil sie eine konkrete, ggf. akute, Gefahr darstellen. So lösen wir Menschen Konflikte zumindest bisher leider.

Das Vernichten von Kunst und Kultur hingegen mag zwar insgesamt auch nicht selten sein, ist aber wesentlich mehr den ganz großen Bewegungen und Staaten vorbehalten. Vermutlich nicht grundlos, denn einzelne Soldaten im Schlachtfeld kümmert in der Regel sicher mehr das eigene Überleben und weniger die Auslöschung ganzer Kulturen. Man beseitigt im Kampf Gefahren, nicht Ideen.

Wir in Deutschland haben da ja Erfahrung. Unter Hitler wurde „entartete“ Kunst vernichtet, und auch die DDR war zumindest mal bemüht, militaristische Denkmäler abzureissen und Straßen umzubenennen.

Nun kann ich, dank eigener politischer Befangenheit, nicht verhehlen, froh zu sein, nicht in einer Straße zu wohnen, die z.B. nach Hitler benannt ist. Andererseits sehe ich die Welt nicht nur als politischer, sondern auch als interessierter Mensch. Zumindest mir hilft es, die Vergangenheit zu verstehen, indem ich ihre Spuren finde. Klar, seit Hitler existieren Massenmedien, da muss man eine Straße nicht nach geschichtsträchtigen Personen benennen. Aber unser Wissen über das Mittelalter, die Antike, die Ursprünge unser selbst, sind nur lückenhaft überliefert. Wer da recherchieren will, Dinge herausfinden, der ist auf die überlieferten Kunstwerke angewiesen. Weil wir sonst kaum etwas haben. Und natürlich werden die Spuren umso dünner, je weiter wir in die Vergangenheit blicken wollen, es geht bei Wehklagen um die Verluste von Kulturschätzen nicht um persönliche Pettitessen. An sowas hängt unser aller Verständnis von der Welt, in der wir leben!

Dass der IS Kulturdenkmäler zerstört, ist natürlich genauso logisch.  Ihnen geht es ja eben nicht darum, die Welt zu erklären, wie sie ist – sondern darum, alles aus der Welt zu schaffen, was ihrer irrationalen Überzeugung widerspricht. Es geht nicht darum, was man aus der Geschichte lernen kann, es geht darum, wie man die tatsächliche Geschichte um das bereinigt, was der eigenen Ideologie nach nicht existieren darf – obwohl es das natürlich tut. Und deswegen halte ich den IS auch genau wegen Palmyra und Nimrud für viel schlimmer als einige andere ebenso verachtenswerten Gruppen:

Es reicht ihnen eben nicht, eine wie auch immer geartete Opposition aus dem Weg zu räumen. Darüber hinaus versuchen sie nämlich, die Geschichte zu ihren Gunsten zu verändern, sie versuchen, falsche Wahrheiten zu etablieren. Kurzfristig betrachtet ist das eine Kleinigkeit neben all den Morden, das gebe ich zu. Langfristig aber ist das eine viel erschreckendere Strategie, die man nur bei Bewegungen findet, die schon seit jeher für ihren Vernichtungswillen bekannt sind: Religionen.

Es geht nur darum, dass Kunst – welcher Art auch immer – für Menschen mit religiösen Wahnvorstellungen unerträglich ist, wenn sie nicht in deren Raster passt. Sie fühlen sich angegriffen und beleidigt deswegen, um nix mehr als diesen Blödsinn geht es. Und dafür vernichten sie Kunst, die uns allen ein besseres Verständnis unserer Geschichte liefern könnte, uns zeigen könnte, was Menschen in der Vergangenheit besser oder – sehr wahrscheinlich! – schlechter gemacht haben. Die Leute haben sich in ein irrationales Glaubenssystem verirrt, das unser Leben ärmer macht. Die sind wirklich kaum besser als Nazis, und das will was heißen. Sich von jahrtausendalter Kunst so im eigenen Leben gestört fühlen … gibt es dafür eine Diagnose?

3 Comments

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3 Responses to Wenn Kunst das Leben zerstört

  1. sash,
    ich möchte dich, bevor die riesendiskussion hier losgehen wird – und das wird sie !! *sei gefaßt darauf !!!*- darauf hinweisen, dass der ISLAM keine religion, sondern eine gesellschaftsordnung ist.
    die islamisch begründeten religionen haben teilweise sehr unterschiedliche auslegungen. deshalb ja auch der kampf der IS – die eben die anderen nicht gottesfürchtig genug finden.
    ein bisschen mehr zum thema ISLAM kannst du in diesem Interview >>> http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/845641 finden.
    zur erklärung:
    ich habe mich im Frühjahr angesichts von „Charlie“ sehr intensiv mit dem thema befasst – und da gab es im zeit-blog durchaus sehr ineteressante und weiterführende links, so auch dieser o.g. .

  2. @carola:
    Ähm, nein? Der Islam in seinen Ausprägungen ist in erster Linie eine Religion (bzw. mehrere Religionen oder religiöse Strömungen).
    Aber – so gesehen gebe ich dir dann doch wieder recht – dummerweise haben Religionen fast allesamt den Nebeneffekt, dass sie die Gesellschaft mitprägen und beeinflussen (oder zumindest wollen), schon alleine, weil sie es natürlich besser „wissen“ als alle anderen und ihre eigenen Gesetze fordern; mal nur für die Gläubigen, mal auch für alle.
    Ich will die Gefährlichkeit nicht herunterspielen, versteh das bitte nicht falsch. Ich möchte nur klarstellen, dass der Islam da nicht alleine ist. Der letzte Kaiser „von Gottes Gnaden“ ist schließlich auch noch nicht allzu lange tot.

  3. Senfgnu

    Jede der Weltreligionen hat auch den Anspruch, eine Gesellschaftsordnung zu sein. Wären die Religionen damit zufrieden, „nur“ ein Glaube zu sein, dem man anhängt oder eben nicht, wäre doch alles schön. Nur leider gibt sich eben Religion nicht damit zufrieden, ein harmloses Hobby wie bspw. Briefmarkensammeln zu sein.

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