Die anderen

Mir geht’s ja gut. Ich hab heute die Arbeit hinter mich gebracht und war eigentlich ganz zufrieden. Das Warten auf die Bahn hab ich ins Innere eines Dönerladens verlegt, danach, in der Bahn, war es ja schön warm. Hach.

An der Umsteigehaltestelle ist sie mir gleich aufgefallen. Sie war für diese Jahreszeit leicht mangelhaft bekleidet und watschelte reichlich angetrunken durch die Prärie, um die Anschlussbahn in die andere Richtung zu nehmen. Wir standen uns also beim Warten gegenüber.

Mir war gelinde gesagt arschkalt, aber das trifft nicht einmal ansatzweise das, was sie durchzumachen schien. Ich war zwar auch schon leicht müde und hatte ein Hemd zu wenig unter der Jacke an – aber dank großzügiger Fettpolster und einer in 5 Minuten kommenden Bahn war ich recht zufrieden. Wie warm ihre Jacke war, weiß ich nicht einzuschätzen, aber alleine der Blick auf ihre Strumpfhosen ließ mich weiter zittern. Ich bin wohl inzwischen alt genug dafür. Als Jugendlicher hab ich mich immer gewundert, was für absurde Angst Erwachsene vor Kälte zu haben schienen.

In dem Fall war das aber gerechtfertigt.

Denn die Frau – im Übrigen schon etwas vom Jugendalter entfernt – zitterte nicht nur, sondern rief auch ihren (oder einen) Freund an und bat ihn, sie dringend abzuholen. Ihre Bahn brauchte nämlich im Gegensatz zu meiner noch gute 20 Minuten. Wie dem lautstarken Gespräch zu entnehmen war, sah besagter Freund da keine Notwendigkeit. Er hatte sie sicher nicht so leidend vor Augen wie ich, aber mich hat das dann doch überrascht. Gut, vielleicht hätte er ähnlich lange wie die Bahn gebraucht, aber ein bisschen mehr Zuspruch hätte die Situation sicher entschärft.

Ich sag’s ehrlich, ich wäre ja gerne die Rettung in Not gewesen, aber ich konnte es nicht. Auf meine Jacke zu verzichten war nicht drin. Es war zu kalt und eine neue hätte ich mir nicht leisten können. Scheiße, aber wahr. Und sie auf die Idee bringen, doch erst einmal die andere Bahn in die entgegengesetzte Richtung zu nehmen – zum Aufwärmen?

Mir fiel das zum einen zu spät ein. Zum anderen waren wir da alleine. Ich bin nett und schaffe es, als Taxifahrer vertrauenswürdig rüberzukommen – aber ja, ich habe gewisse Hemmungen, als schwarz gekleideter Zweimetertyp irgendwelche fremden Frauen nachts zu überreden, doch lieber mit mir in eine Bahn einzusteigen.

„Zu Ihrer Sicherheit …“

Ja ja, schon klar.

Ich bin mir sicher, dass in 15 Minuten niemand erfriert. Aber manchmal frage ich mich dann doch, ob ich solche Situationen nicht zu sehr zerdenke. 🙁

3 Comments

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3 Responses to Die anderen

  1. elder taxidriver

    Ich kannte einen Professor, der es nie geschafft hat den Führerschein zu machen, weil er vor jeder Entscheidung, bremsen, Gas geben, rechts rum oder links.. immer zuviel ‚gedacht‘ hat, wie die Folgen sein könnten und so..
    Da bist du wohl noch mal knapp daran vorbeigekommen, dessen bin ich vermutend.

  2. Marco

    Kenn ich, ich mach mir da auch immer so meine Gedanken. In dem Fall hätte ich wohl auch nachgedacht, ob und wie ich da helfen kann, und ich kann auch deine Hemmungen nachvollziehen, ihr einfach vorzuschlagen, mit dir in die Bahn zu steigen.

    Im Endeffekt bleibt es wohl bei: „Ich bin mir sicher, dass in 15 Minuten niemand erfriert.“

  3. als weibliche Frostbeule, die früher regelmäßig im Winter und Nachts alleine nach Hause gegangen ist, kann ich nur sagen: selber schuld! man muss nicht so dünn angezogen sein. Gerade, wenn sie nicht mehr so jung ist, denke ich mir, dass ihr klar ist, dass es im Dezember (trotz Klimaerwärmung) in Berlin kalt ist und da knappe Bekleidung nicht reicht. Man kann sicherlich auch aufgebrezelt sein kann ohne sich nachts den Arsch abzufrieren. Das selbe hat sich ihr Freund wohl auch gedacht.

    Mein Tip wäre übrigens gewesen: statt mit der Bahn zurückzufahren, kann man auch 1,2 Stationen vorlaufen. So wird man auch warm.

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