Trauerarbeit

„Scheiße ey, das sieht ja aus wie der Blumenkübel von den Nachbarn!“

„Aber das hier ist noch viel schlimmer!“

„Verdammt, da brauchste ja einen Barockfetisch. Lass uns erst mal nach Sprüchen schauen. Bei den Blumen würde ich sagen, lassen wir uns was eigenes einfallen. Schon was gefunden?“

„Äh, ja. So in etwa. Aber hör mal den hier: ‚In Christus vollendet‘ …“

„Bitte WAAAS? Nicht im Ernst! Wobei es nur konsequent für Christen ist. ‚Na endlich!‘ sollte eigentlich in deren Sinn sein. Aber weder wir, noch sie hatte was mit der Kirche am Hut. So lange sie noch alle Sinne beeinander hatte, war das jedenfalls so.“

„Noch besser: „Mach et jot!‘. Wer macht sowas?“

„Und morgen dann ‚Hau wech den Drech‘ …“

„Hmm. ‚In Deinen Kindern lebst Du weiter‘ ist jetzt auch irgendwie in dem Fall doof.“

„Ich glaube, ich bleibe bei ‚Ruhe in Frieden‘. Ein bisschen zu viel ‚Leben nach dem Tod‘-Romantik ist mir da zwar eigentlich auch drin, aber das trifft es noch am Besten. Und nach all dem Gekabbel in der Familie ist das im besten Sinne ein hervorragender Wunsch.“

Ja, schöne Scheiße. Da kommste vom besten Partywochenende des letzten Jahres und kaum hat das erste Handy hinter der Grenze wieder Netz, verkündet es den Tod der Oma. Sie ist am Sonntag, – wie man so euphemisierend alles in den immerselben Spruch packt – „nach langer, schwerer Krankheit“ verstorben. Nicht unerwartet und, wie ich fürchte, glücklicherweise.

Das tröstet meine Wenigkeit enorm, schließlich verdanke ich ihr viel und ein plötzlicher, „unfairer“ Tod hätte mich schwer getroffen. In den letzten Jahren hab ich sie überwiegend aus Entfernungsgründen nicht gesehen, sie war aber ohnehin bereits so dement, dass sie mich wahrscheinlich nicht erkannt hätte. Ein trauriges Ende, aber wie ja bereits der Volksmund weiß: Besser eines mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Es war Zeit.

Die Beisetzung ist für morgen angesetzt, wohl gemäß ihren Wünschen nichts großes, mehr als eine Handvoll Verwandter und Bekannter ist ihr nicht geblieben. Mann, Tochter, Geschwister … die meisten hatten weniger Zeit unter den Lebenden als sie. Da das alles so schnell und einfach über die Bühne gehen wird, werde ich nicht nach Stuttgart fahren. Tote kann man schlecht enttäuschen, was eine angenehme Nebenwirkung ihres endgültigen Zustandes ist. Die Einstellung teile ich mit dem relevanten Teil der Familie, mein Fernbleiben ist also in Ordnung. Da das aber einer der wenigen Momente ist, in denen ich wenigstens ein Zeichen hinterlassen will, habe ich mich entschieden, wenigstens ein paar Blumen in meinem Namen ans Grab bringen zu lassen. Was ich das erste Mal tue, so oft verpasse ich Beerdigungen dann auch nicht.

Obiger Dialog ist verkürzt wiedergegeben tatsächlich, was vorgestern hier im Haushalt zu diesem Zwecke geredet wurde. Gerade bei ziemlich starren Riten wie Beerdigungen und Trauer kommt man wirklich schnell in einen unfreiwillig komischen Bereich, insbesondere wenn man z.B. den Kreuzbuben mit dem Nagelfetisch nicht zu seinen Freunden zählt.

Ich weiß, dass die flapsigen Kommentare, die vermeintliche Pietätlosigkeit, auf die ein oder anderen – insbesondere die eher simpel gestrickten – Leute verstörend wirken kann. Ich könnte auch die Klappe halten oder abgeschriebene Zitate mit viel zu vielen Schlechte-Laune-Smilies hier hochladen. Und hui, das würde richtig gut ankommen. Mal wieder so viele liebe Kommentare wie damals unter dem Artikel zum Tod meiner Mutter, alles total toll.

Alleine: mir hilft das nicht.

Also nichts gegen liebe Kommentare, aber insgesamt ist Trauern etwas höchst persönliches und individuelles. Und es wird – zum Nachteil von vielen – immer noch zu sehr in Regeln gepresst, die viele in ihren schweren Stunden alleine lassen. Nicht jeder überwindet einen Verlust am Besten, indem er jahrelang schwarz auf- und eine depressive Grundstimmung vor sich her trägt! Während Verdrängung vielleicht wirklich noch ein psychologisches Minenfeld in einem selbst hinterlassen kann, sind beispielsweise Aktionismus, Euphorie, selbst Humor für den ein oder anderen die Mittel der Wahl. Der eine weint mehr, der andere weniger. Menschen schreiben, tanzen, singen, geißeln sich meinetwegen. Sie fasten, schlemmen, nehmen Drogen, reden miteinander oder schweigen. Denken in solchen Situationen besonders viel über den Tod nach oder bejahen das Leben umso mehr.

Und wer sich einbildet, anderen den Weg seiner Verlustbewältigung vorschreiben zu müssen, ist in der Regel nur ein Idiot, der sich mit der menschlichen Psyche nicht sonderlich gut auseinandergesetzt hat.

Hatte ich fieses Rumranten schon als Trauerstrategie erwähnt? 😉

Aber ich schreibe das wirklich mit einem ernsten Hintergrund. Ein guter Freund von mir hat mir vor einiger Zeit – das war kurz nach dem Tod meiner Mutter – gestanden, dass er darunter gelitten hat, weil er beim Tod seines Vaters nicht weinen konnte. Er hat das nicht verdrängt, er hat sich einfach nur still damit auseinandergesetzt und ist recht schnell zu der Ansicht gekommen, dass das alles zwar schade sei, jetzt aber irgendwie das Leben weitergehen müsse für ihn. In seiner Familie jedoch wurde ihm vorgeworfen, seinen Vater wohl nicht gemocht zu haben, seine Lebensfreude wenige Wochen nach dem schweren Verlust wurde ihm missgönnt, wurde skeptisch betrachtet. Obwohl damals, als er mir das erzählte, er ganz offensichtlich von all den Menschen in seiner Familie am Besten mit der Sache umgehen konnte. Alle anderen schwiegen das Thema tot und waren offenbar nicht einmal in der Lage, die Umstände (tragischerweise ein selbstverschuldeter Unfall) auch nur anzusprechen, und sei es nur objektiv aus der Distanz von nunmehr 4 Jahren.
Dieser Freund hat Jahre gebraucht, um damit klarzukommen – nicht mit dem Tod seines Vaters, sondern mit seiner eigenen Reaktion darauf. Mit viel Glück und wahrscheinlich nur durch die richtigen Umstände außerhalb der Familie ist er nicht daran zerbrochen, ist nicht deswegen seinerseits depressiv geworden oder gar schlimmeres.

Einzig seinetwegen existiert nun dieser lange und sicher nicht für alle unterhaltsame Text.

Wenn ich vom bestatterweblog eines gelernt habe, dann, dass das Tamtam um den Tod vor allem für die Lebenden gemacht wird. Als solchen sehe ich mich und als solcher gestalte ich das Tamtam nach meinen Vorstellungen.

Meiner Oma hätte ich mehr gewünscht, als sie wahrscheinlich vom Leben hatte: Krieg, Armut, danach fast ausschließlich Aufopferung für eine Familie, die es ihr nicht immer gedankt hat. Wer mich kennt, weiß, wie traurig mich sowas stimmt. Ein Grund mehr jedoch für mich, keine peinlichen Geranienorgien auf ihrem Grab zu veranstalten.

Als ich etwa 8 Jahre alt war, habe ich verbotenerweise in ihrer Wohnung mit einem Ball gespielt. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Mit vernehmbarem Krachen stürzte ihre Uhr zu Boden, ein hölzerner Trumm mit goldenen römischen Zahlen auf matten Zifferblättern. Die Uhr selbst blieb heil, alleine das eingebaute Barometer stand fortan immer auf Schönwetter – was meine Oma ab da zu jeder Zeit gerne betonte. Inzwischen spiele ich lieber mit Worten als mit Bällen, aber ich sehe es nicht ein, dass es sich ein Arschloch wie der Tod herausnimmt, an diesem beschissenen Zeiger zu drehen.

7 Comments

Filed under Haushalt, Vermischtes

7 Responses to Trauerarbeit

  1. der Schwob

    in Stuttgart scheint die Sonne!

  2. Ich kann Dir nur zustimmen. Trauer ist etwas, was jeder auf seine eigene Weise verarbeiten muss.
    Ich habe beim Tod meines Vaters auch geweint, aber ich war ziemlich schnell der Auffassung, dass das Leben weitergehen muss. Mit endloser, nach außen getragener Trauer und Depression ist mir nicht geholfen und ihm sowieso noch weniger. Ich hätte deswegen nicht mein Studium aussetzen können…
    Ich wünsche Dir alles Gute. 🙂

  3. Andreas O.

    Dieser Blogeintrag hat mich sehr gerührt und wird mich für den Rest des Tages gedanklich beschäftigen. Sowohl die Zukunft betreffend. als auch die Vergangenheit.

  4. Mensch Sash, mir geht`s genauso! Dennoch mein Beileid. – Jeder trauert anders, daher sollte niemals nich verglichen werden. Ich hatte zur letzten Beerdigung auch keine Träne im Knopfloch. Ich hinterfragte mich während der „Zeremonie“ und auch danach sogar noch, was falsch mit mir sei. Aber Quatsch. Ich kapierte, ich bin ok, aber nicht jeder Tod löst gleiche Gefühle in mir aus. Da weine ich manchmal mehr um eine kleine, gegen die Scheibe geflogenene und verstorbene Meise als um einen Menschen. Aber auch da gibt es verschiedene Gründe. Ist der Tod sinnlos, trifft`s mich härter. Ist er vorherzusehen, konnte man schon langsam Abschied nehmen u.s.w. Ich bin auch wahnsinnig glücklich, dass bei mir in der Familie keiner streng gläubig ist. Ich selbst als Atheistin – na, du wirst`s ja vermutlich auch so sehen – ist ein Grab schietegal! Keine Feier, Asche verstreuen und gut ist. Alle, die mich liebten, werden`s nicht durch Fernbleiben auf meiner Trauerfeier oder Fehlen eines Grabes weniger tun. Und pietätlos sind deine Gedankengänge auf keinen Fall. Also ausdrücklich: Weitermachen. Auch bei „ernsten“ Themen. 🙂

  5. Ich habe bei den Beerdigungen meiner Großväter ein wenig geweint… Anderseits habe ich sie vorher beide nicht bzw. selten im Krankenhaus besucht… und „ignoriere“ auch meine Oma im Heim… Für mich ist das die beste Möglichkeit das überhaupt zu überstehen, denn mit ansehen kann und konnte ich das nicht…
    Mir wird auch vorgeworfen, dass ich auf die Familie scheiße… und es mir egal ist… und ich undankbar bin. Dass ich gerade die Oma und den dazugehörigen Opa lieber so in Erinnerung behalte wie sie waren zählt dabei leider nicht… :/

  6. @der Schwob:
    🙂

    @Nessa LG:
    Wird alles, danke. 🙂
    Und ich kann Dich sehr gut verstehen.

    @Andreas O.:
    Dann hoffe ich mal, dass es im positiven Sinne gemeint war.

    @baerlinerin:
    Sehr schöner Kommentar, danke. Ich stimme Dir auch bei den Unterschieden zu: es kommt immer darauf an – also auf alles, um genau zu sein. Ich hab im Übrigen auch als Atheist gar nichts gegen Gräber. Der ein oder andere hat eben auch einen gewissen örtlichen Bezug und auch das kann ja z.B. helfen, das Trauern zu kanalisieren, es aus dem Alltag in bestimmte Situationen zu verlegen. Ebenso finde ich es einen schönen Effekt, dass sich mitunter durch ein Grab auch ganz unbeteiligte Personen Gedanken über einen Menschen oder den Tod an sich machen.

    @Svü:
    Ja, die Grenzen sind eben unterschiedlich. Und am Ende hat man nichts davon, die Konventionen alle einzuhalten, nach außen hin „alles richtig zu machen“ und selbst drunter zu leiden. Im Ergebnis mag das manchmal traurig sein, besser als sein eigenes Leben zu zerstören ist ein sorgsamer Umgang mit sich selbst aber wahrscheinlich immer.

  7. Andreas O.

    @Sash: Ja war es!

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