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Heraus!

„Heraus zum ersten Mai!“

Was nervt mich diese Parole. Ich finde es immer schade, wenn aus Traditionsgründen sinnvolle Ansichten in gestrige Worte verpackt werden. Heraus. Heraus? Kein Mensch außerhalb von Hannover oder einschlägigen K-Gruppen wird doch das Wort noch ernsthaft so verwenden…

Ich bleibe einen Lösungsvorschlag zur Umschreibung schuldig, aber wie jedes Jahr starte ich ein wenig zwiespältig in den ersten Mai. Natürlich werde ich heute Abend auf der Demo in Kreuzberg sein, und da ich sogar öffentlich dazu stehe, kann ich ja auch zugeben, dass ich gerne dazu auffordere, es mir gleich zu tun.
Sicher kann man auch auf eine der zahlreichen anderen Demos hier oder anderswo gehen, an der mangelnden Auswahl soll es ja nicht liegen an diesem Tag.

Es ist ein wenig traurig, dass der erste Mai so sehr zu einem Folklore-Tag verkommen ist. Da möchte ich auch gerne die DGB-Demos in einen Topf mit der bösen revolutionären 18-Uhr-Demo am Kotti werfen. Ob man jetzt zum ersten Mai geht, weil man mit ein paar Freunden Würstchen essen will oder weil man sich mit den Bullen zu kloppen gedenkt: Im Grunde ist beides gleichermaßen bescheuert!

Dennoch finde ich es ärmer, nicht hinzugehen.

OK, klar: Wenn man zufrieden ist mit der Welt, wie sie ist, dann kann man das machen. Für diese Einstellung indes fehlen mir die Worte…

Ganz ehrlich: Ja, ich bin froh, in Deutschland zu leben! Je mehr man Deutschland mit dem Rest der Welt vergleicht, desto besser gefällt es einem hier. Die Politik hier ist in so vielen Punkten am fortschrittlichsten oder zumindest nahe an der Spitzengruppe. Das weiss ich zu schätzen, aber ich gehöre zu den Menschen, die sich für Kakao entscheiden, wenn sie die Wahl zwischen 3 Arten Durchfall als Morgendrink bekommen.
Es ist auch nicht so, dass ich undankbar bin für alles, was ich habe – aber selbst in unserem reichen, satten Sozialstaat ist noch einiges im Argen.

Hey, hier und heute – in Deutschland 2011, werden immer noch Frauen schlechter bezahlt als Männer. Es gibt einen Haufen Menschen, die trotz Vollzeit-Arbeit in Armut leben und Menschen, die wegen ihrer Herkunft diskriminiert werden. Es gibt Menschen, die sich beschimpfen lassen müssen, weil sie keine Arbeit finden oder weil sie homosexuell sind. Immer noch werden in der Politik ernsthaft Arbeitsplätze in der Automobilindustrie munter gegen Umweltzerstörungen hochgerechnet und mit ein paar fragwürdigen Ergebnissen wird eine Abschaffung der Privatsphäre schöngeredet. Hier und heute noch brechen ausgerechnet Polizisten vielerorts massiv und organisiert das Grundgesetz und gleichzeitig versteht ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung nicht, was das bedeutet, weil das zu viel Textverständnis erfordern würde.

So vorbildhaft dieses Land im ein oder anderen Bereich sein mag: Es gibt genügend Gründe, gelegentlich den Arsch hochzukriegen und wenigstens mal seine Meinung zu sagen!

Ich finde es ein wenig schade, dass die meisten Leute erst dann demonstrieren, wenn es ihnen selbst an den Kragen geht. Man findet in der Geschichte eine Menge Hinweise, dass das zu spät sein könnte. Nach wie vor kann ich nur sagen, dass ich mit meinem eigenen Leben zufrieden bin, und mir eigentlich angenehmeres vorstellen könnte, als mit  10.000 verschwitzten Menschen ein paar Straßen langzutrotten und von sensationsgeilen „Journalisten“ fotografiert zu werden.
Ich komme mit meinem Leben schon klar – so wie es jetzt ist, und wahrscheinlich auch so, wie es in 10 Jahren, ungeachtet der Wahlausgänge sein wird. Aber verdammt: Ich bin doch nicht der Maßstab der Dinge. Es geht so vielen Leuten ernsthaft dreckig hier!

Außerdem wäre es doch schön, wenn nicht jede Kritik untergehen würde, nur weil sich die paar Hansel auf einer Demo unter Würstchenesser und Steinewerfer subsummieren lassen!

Deswegen werde ich heute Abend einmal mehr in Kreuzberg sein, und bei der Demo mitlaufen. Es ist mir doch scheißegal, ob 500 Leute das als Aktionsplattform sehen, um ein bisschen Katz-und-Maus mit den Cops zu spielen. Ich werde da sein, damit sich vielleicht mal jemand fragt, warum da noch 10.000 andere Leute mitlaufen!

Und abgesehen davon: Es ist nach wie vor ein Gerücht, dass die Verantwortlichkeit bei den Krawallen so einseitig ist…

Insofern:  Heraus zum ersten Mai – egal wie scheiße das klingt!

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