Blabla – ein Kommentar

So, die Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg (und Rheinland-Pfalz, aber ich kann ja nicht über alles schreiben) ist nun also Geschichte. Und auch das Ergebnis ist gewissermaßen Geschichte. 58 Jahre CDU-Regierung sind damit aller Wahrscheinlichkeit nach vorbei. Es ist kaum davon auszugehen, dass die SPD plötzlich auf die Idee kommen wird, sich doch als Juniorpartner einer großen Koalition zur Verfügung zu stellen.

Die Wahl wurde wie so viele als „Schicksalswahl“ betitelt, und spätestens das ist der Punkt, an dem ich dazwischenrufen möchte: Halt!

Wie ich schon im vorherigen Beitrag klargestellt habe: Ich begrüße es. Ich finde es gut, dass die CDU (die ja immer noch stärkste Partei ist!) einen vor den Latz geknallt bekommen hat, und ich saß gestern Abend tatsächlich ähnlich ungeduldig vor dem PC wie bei der Bundestagswahl 1998 vor dem Fernseher, um mir die neuesten Hochrechnungen und Auszählungen reinzuziehen. Fast ein bisschen viel Interesse an einer Landtagswahl für Revoluzzer wie mich, was?

Nun ja, man fühlt sich der Heimat dann doch ein wenig verbunden, und nach ewigem Wahlkampf und einigen Aufregern beschleicht ja auch mich manchmal doch der Funken einer Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Natürlich ist das nur von kurzer Dauer, aber das kann ich ja jetzt auch mal als Trost an die Anhänger der CDU weitergeben: Keine Panik, die Welt geht wegen dieser Wahl nicht unter! Aber es wird trotzdem viel passieren!

Vielleicht klappt das mit S21 jetzt nicht so richtig (wobei ich nicht weiss, ob das wirklich noch reversibel ist) und vielleicht bekommt Stuttgart dank der Grünen noch mehr Radwege und 30er-Zonen. Das Ende der Wirtschaftswunderzeit läutet diese Wahl sicher nicht ein, denn diese Zeit ist nunmal ohnehin längst vorbei.
Es mag vielen plötzlich in der Opposition gelandeten Mitschwaben unbehaglich vorkommen, aber die Welt ist nicht anders, weil jetzt in BaWü die Grünen plötzlich eine Volkspartei sind, sondern dieses Wahlergebnis spiegelt neben den Aufhängern der näheren Vergangenheit (S21, Fukushima, Brüderle – um nur 3 Katastrophen zu nennen) einfach einen Wandel wieder, der längst im Gange ist.

Und der ist beileibe nicht wirklich schön.

Baden-Württemberg ist wie Bayern bisher in der Situation gewesen, dass das landeseigene Leben stets Referenzmodell war. Das bleibt es in Deutschland vorerst auch, egal wer regiert. Die Wirtschaft ist im Süden Deutschlands seit Jahren deutlich besser aufgestellt als im Rest, der Wohlstand ist vergleichsweise hoch. Natürlich kann es sein, dass sich das ändern wird. Für so mutig halte ich die Grünen indes dann auch nicht. Die Änderungen, die dazu notwendig sind, sind zu tief, um sie mal eben in einer Legislaturperiode umsetzen zu können. Wichtiger ist aber eigentlich: Es wird BaWü diesbezüglich nicht anders gehen als den anderen Bundesländern, ja als anderen Staaten sogar.

Dass eine einzige – noch dazu konservative – Partei die Regierungsgeschäfte seit über einem halben Jahrhundert ohne Unterbrechung mitgestaltet, ist zunächst einmal mathematisch sehr unwahrscheinlich, lässt beim genaueren Hinsehen allerdings allenfalls eine gewisse Selbstzufriedenheit der Bevölkerung erkennen, weniger das Potenzial der Partei selbst.

In den letzten 58 Jahren ist nicht nur Europa als supranationale Größe auf die Bühne der Weltpolitik getreten, nein ebenso hat sich der kalte Krieg verflüchtigt und es hat sich nicht nur gezeigt, dass anderswo auf diesem Planeten plötzlich Konkurrenz für die deutsche Wirtschaft erwächst – es setzte sich auch zunehmend die Erkenntnis durch, dass mancher Fortschritt auf Kosten der Umwelt teuer erkauft wurde. Natürlich ist diese Entwicklung trotz CDU nicht am Ländle vorbeigegangen, aber man könnte es als Zeichen werten, dass erst ein GAU in einem japanischen Atomkraftwerk die Wahlergebnisse beeinflusst, wenngleich es 25 Jahre zuvor einen Super-GAU gab, der sogar die Region selbst betroffen hat.

Bei allen politischen Signalen, die die Wahl jetzt angeblich aussenden soll – und wenn meinetwegen Merkel und Westerwelle letztlich darüber stolpern – die Welt ändert sich nicht, weil die Grünen in BaWü 24 Prozent kriegen. Ungeachtet der Katastrophe in Fukushima wird z.B. die Umwelt ein größeres Thema werden müssen. Wenn uns der Planet unter dem Arsch wegschmilzt, gibt es – so bedauerlich es für Weissach und Sindelfingen sein mag – langfristig keine Schutzzonen für schwäbische PS-Schmieden.
Darüber hinaus zwingt die Globalisierung innerhalb unseres geliebten Kapitalismus uns die Frage auf, wie wir auf dem gesamten Kontinent eine Versorgung unserer Arbeitnehmer garantieren sollen, wenn fernöstliche Staaten dieselbe Produktivität durch Sklavenhaltung wesentlich billiger erreichen.

Mittelfristig wird auch das Schwabenland als Insel der Seeligen und als Arbeitsplatzmekka der Ingenieure aufwachen müssen und sich dieser Welt stellen, die sich in den letzten 58 Jahren nunmal rapide gewandelt hat, und deren Probleme nicht auf Dauer mit der Hofierung von DAX-Unternehmen zu lösen sind.

Meine Befürchtung ist ja, dass das tatsächlich just jetzt passiert, und letztlich ausgerechnet die „linke“ Regierung dann dafür verantwortlich gemacht wird.

Abgesänge auf die schwäbische Wirtschaft im Falle eines rot-grünen Wahlsieges fanden sich selbst außerhalb der CDU-Seite schon vor der Verkündigung des amtlichen Endergebnisses zuhauf im Internet, und wahrscheinlich werden sie mittelfristig Recht behalten. Auch wenn das meiner Meinung nach den Kern der Tatsachen verfehlt, so lange eine harmlose Partei wie die Grünen dafür verantwortlich gemacht wird.

Ihr merkt schon: Eigentlich sehe ich dieses Wahlergebnis nicht als wichtig an.
Das stimmt aber auch nur bedingt. Ich sehe es als Zeichen, dass sich vielleicht (vielleicht ist das auch nur purer Aktionismus) inzwischen auch in den Köpfen der Menschen langsam was verändert.

Wir freuen uns alle über den Status Quo, den wir in Deutschland haben: Ein halbwegs funktionierendes Sozialsystem, und wenn man dessen Nutzer mal aussen vor lässt, dann kann sich auch unser Gesundheitssystem und z.B. unsere Bildung durchaus zumindest in ihren Grundzügen sehen lassen. Dazu haben wir einen abartigen Wohlstand erreicht, der es selbst mir als Niedriglöhner ermöglicht, den Lebensstandard meiner Eltern im selben Alter trotz ihrer damals „guten“ Arbeit locker zu überbieten. Das schätze ich durchaus, aber ich bin Realist genug, um zu vermuten, dass sich dieser Standard nicht aufrecht erhalten lassen wird. Nicht unter den aktuellen Bedingungen, egal ob ich von der CDU oder den Grünen regiert werde.

Das Problem ist, dass die meisten Menschen da draussen genau das glauben – zum Beispiel, weil ihnen das 58 Jahre lang von der CDU erzählt worden ist. Und selbst wenn wir in 50 Jahren noch immer Atomstrom zu 20ct/kWh beziehen, dann werden wir andersweitig mehr Steuern zahlen, um die Entsorgungskosten zu finanzieren.
Wir – und dieses wir beinhaltet mich und wahrscheinlich alle meine Leser! – leben insgesamt immer noch weit über unsere Verhältnisse, wenn wir davon ausgehen, dass uns eigentlich global daran gelegen ist, eine gewisse Gleichheit  unter den Menschen zu etablieren. Derzeit können wir unseren „Luxus“ auch nur damit finanzieren, dass anderswo billige Arbeit geleistet wird, bzw. die Natur zerstört wird, und uns somit in Zukunft nicht als „Kapital“ zur Verfügung steht. Und das kann nicht ewig gehen, dauerhaft unbegrenztes Wachstum ist bei einer Endlichkeit des Systems (Erde) nicht möglich!

Der Gedanke schockiert viele Menschen, die jetzt ein halbes Jahrhundert ewiges Wachstum kennen, die es eingeimpft bekommen haben. Das reicht nicht nur so weit, dass wir bekloppte Glühbirnen verbieten (!) mussten, sondern darüber hinaus bis zum irrationalen Verhalten, aufgrund dieses Verbotes die blöden Teile auch noch zu hamstern.

Vielleicht ist diese Wahl ein Zeichen dafür, dass langsam ein Umdenken einsetzt. Vielleicht ist es auch nur ein Zeichen dafür, dass noch beklopptere Leute noch beklopptere Vorstellungen haben, und beispielsweise den Wert ihres Grundstückes steigen sehen, wenn das AKW in der Nachbarschaft nicht mehr in Betrieb ist. Ich weiss es nicht. Unser aller Schicksal (auch nur das aller Schwaben) ändert die gestrige Wahl in BaWü sicher nicht. Wahrscheinlich ändert sie wie auch mein Freudentag 1998 gar nichts, bzw. manches zum Schlechteren. Ungeachtet dessen ist es an der Zeit, den Tellerrand auch im bergigen Süden des Landes mal zu überblicken und sich Gedanken darüber zu machen, ob es wirklich noch zeitgemäß ist, die Grünen als realitätsfremde Ökospinner und die SPD als Wirtschaftsfeinde wegen der Gewerkschaftsnähe zu brandmarken. Und wenigstens dazu könnte das Wahlergebnis ja beitragen…

10 Comments

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10 Responses to Blabla – ein Kommentar

  1. Deine Ausführungen sind doch der beste Beleg, warum die Politikverdrossenheit in diesem Land steigt. Und selbst ich bin fast soweit zu sagen, dass ich nicht mehr wählen gehe. Dann kann ich wenigstens behaupten: Ich hab keinen dieser Kasper gewählt.

  2. @Der Maskierte:
    Wenn du nicht wählen gehst, hast du aber indirekt einen dieser ‚Kasper‘ gewählt.
    Geh lieber hin und wähl PBC oder sowas, wenn du dein unbehagen gegenüber den ‚großen‘ Parteien ausdrücken willst.
    Denn wenn du nicht hingehst, zählen die, die hingehen, nur noch stärker.

    Was für mich an der aktuellen Konstellation unglaublich interessant ist, ist Stuttgart 21.
    Da können die Grünen dann zeigen, ob sie nur eine Oppositionspartei sind, oder ob sie auch intelligente Lösungen finden können.

  3. @Nick

    Hör mir bitte auf mit diesem Satz, dass ich indirekt wähle. Nichtwählen ist bei mir, wenn ich mich dazu durchringe, eine Form des Protests. Alternativ könnte ich natürlich ungültig wählen, aber darauf habe ich keinen Bock. Entweder es gibt jemand, der halbwegs meine Interessen vertritt, dann renne ich am Wahlsonntag ins Wahllokal, oder eben nicht und ich bleib mit dem faulen Hinterteil auf der Couch liegen und hoffe, dass die Politik mal wieder zur Besinnung kommt. Und dann habe ich jedes Recht der Welt zu sagen, dass ich diese Kasper nicht gewählt habe.

    Was Rot-Grün in BaWü angeht, so hoffe ich für die Menschen dort, dass das nicht in dem Debakel mündet, in dem es vor einiger Zeit bundesweit endete. Aber meine Meinung über Lokalpolitik hinaus – und auch die sehe ich meistens eher negativ – ist eh nicht mehr zu retten.

  4. @Der Maskierte:

    Auch wenn es nach einer Platitüde klingt, so ist es nunmal.
    Wenn du nicht wählst, wählst du nicht nicht.

    Und, dass es keine Partei gibt, die irgendwie deine Interessen vertritt, glaube ich nicht (und sei es die Biertrinkerpartei).
    Wer nicht zur Wahl geht, hat auch kein Recht, sich über die politische Situation zu beschweren, da er an der Demokratie nicht teilnimmt.
    Sei es nun aus Faulheit, oder aus ‚Protest‘.

    Du hast das Recht (fast) alles zu sagen, stimmen muss es deshalb nicht.

  5. @Nick:
    Es ist aber auch nicht wahr, dass es auf jeden Fall eine Partei gibt, die die eigenen Interessen vertritt. Siehe mein Wahl-o-Mat-Ergebnis unter ALLEN zur Wahl stehenden Parteien. Meiste Übereinstimmung mit der DKP…
    Ist es wirklich eine Lösung, auch als Nicht-Kommunist DKP zu wählen, weil sie ja immerhin ein paar Dinge ähnlich entscheiden würden?
    Es sagt sich leicht, dass Nichtwählen das Schlimmste von allem ist, aber vielleicht will ich dem PBC keine Wahlkampfkostenerstattung zukommen lassen.
    Ich finde, der Umstand, dass man keine Alternative findet, sehr wohl ein Grund zum Jammern sein kann.

  6. @Der Maskierte
    Der Nick hat recht. Wären bei der Landtagswahl BaWü 210.843 Wähler mehr, die nicht FDP wählen, zur Wahl gegangen, wären die gar nicht mehr im Landtag vertreten.

    Aber andererseits macht das nicht wirklich Spaß, immer nur „das kleinere Übel“ wählen zu können/müssen. Das ist nicht der Sinn der Sache.

  7. @Sash:
    Gehen wir mal nicht davon aus, dass der Wahl-O-Mat für dich entscheidet, sondern du selbst.
    Du wirst nie eine vollständige Übereinstimmung haben, wenn du wählen gehst, die hast du aber vielleicht bei deiner Marmelade auch nicht.
    Aber wenn du unbedingt Marmelade haben willst, nimmst du dann lieber die, die vielleicht nur 90% deinen Vorlieben entspricht, oder gar keine?

    Und ja, Marmeladenentscheidungen sind genauso wichtig wie Wählen!!!!!

    Man kann sich natürlich auch alles so zurechtreden, dass es einem selbst passt, aber man sieht ja wie sehr die ‚Protestaktion‘ nichtwählen fruchtet.
    An diesem Wochenende haben immer noch fast die Hälfte der Menschen nicht gewählt, aber da schon mehr als beim letzten Mal gewählt haben, wird das als Erfolg gewertet und nicht als Protest der Restlichen.

    Stell dir mal vor 99% wählen und die anderen Parteien sind zusammen bei über 40%.
    Meinst du nicht da würden die ‚großen‘ Parteien eher sehen, dass sie in ihrer momentanen Form nicht gewünscht sind?

  8. @Nick:
    Ich wollte auch nicht behaupten, dass Nichtwählen per se etwas bringt. Das wird es selten.
    Auf der anderen Seite kaufe ich mir keine Kirschmarmelade, wenn ich Lust auf Erdbeermarmelade habe – und ja, vielleicht verzichte ich deswegen ganz.
    Du hast allerdings Recht: Man kann sich seine Entscheidungen auch schönreden. Zweifelsohne!
    Aber es ist mitunter wirklich nicht leicht, zu entscheiden, ob man nun „aus Protest“ Esoterikspinner, Nationalsozialisten oder Kommunisten wählt. Ohne das jetzt gleichsetzen zu wollen: Keiner von denen hat meine Stimme verdient, denn es ist ja nicht Sinn und Zweck der Aktion, es irgendwem (den etablierten Parteien) zu zeigen. Es geht letztlich immer noch darum, zu bestimmen, wen ich persönlich mit den Regierungsgeschäften beauftragen will – ob es jetzt im Einzelfall erfolgreich ist oder nicht – ob ich damit nur eine „Protestpartei“ unterstütze oder nicht.
    Es mag einfach sein, die normalerweise „Sonstige“ genannten mittels Wahlbeteiligung auf ein höheres Level zu bringen, aber was wenn die Idioten dann meinetwegen tatsächlich Dinge durchsetzen, die ich verachtenswert finde?

  9. @Sash:
    Wenn du dann keine Marmelade nimmst, darfst du dich nachher aber nicht beschweren, dass du keine Marmelade hast. 😉

    Du hast völlig Recht, der Rest war auch noch mehr auf den Maskierten bezogen.
    Sinn der Sache ist es wirklich nicht, einfach nur irgendwen zu wählen, mit dem du auch überhaupt nicht übereinstimmst.
    Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass es nicht zumindest eine Partei in der großen Suppe unserer Demokratie gibt, die mehr als 50% zustimmenswertes im Parteiprogramm hat.
    Und sei es die APPD oder KPDRZ 😉

  10. @Nick:
    Na für die KPDRZ bin ich ja leider zu spät dran. Und was ist: Die Kreuzberger Zepellinindustrie liegt am Boden!

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